Dietrich von Bern beobachtet Mitarbeiter beim Frühstück. Im Lehrerzimmer von Schloss Wildenstein kämpft der mittelalterliche Krieger gegen den Riesen Sigenot. Eine Legende, die in 36 Wandbildern erzählt wird.
Am Tisch schenkt sich Thomas Heinrich eine Tasse Kaffee ein. „Die Wandmalereien sind von 1538“, sagt er mit Blick auf die etwas verblassten, aber noch gut erkennbaren Legendendarstellungen. Sie schmücken die Räume des Herrenhauses auf Schloss Wildenstein bei Leibertigen (Kreis Sigmaringen). Die jahrhundertealten Gemälde fallen Thomas Heinrich kaum auf. So ist es, wenn man in einer Ritterburg arbeitet.
Herbergsvater und Schlossherr
Heinrich ist sozusagen der Burgherr in Wildenstein – einer imposanten Anlage mit wuchtigen Türmen und wehrhaften Mauern hoch über dem Donautal, die erstmals vor fast tausend Jahren erwähnt wurde. Die vor 100 Jahren auch Jugendherberge wurde, die erste von heute 47 in Baden-Württemberg. Geburtstag wird dieses Jahr gefeiert.
Heinrich, gelernter Gartenarchitekt, ist nicht nur Schlossherr, sondern auch Vater der Herberge. Leiter einer Wohneinheit mit 151 Betten und 15 bis 20 Mitarbeitern. Zusammen mit seiner Frau betreibt er die Jugendherberge in den historischen Gemäuern.
„Man könnte aus dem Schloss ein Museum machen“, sagt er. „Aber dann wäre es keine Jugendherberge mehr. Dass Kinder in so einem historischen Gebäude wohnen können, ist fantastisch.“
Erste deutsche Jugendherberge in Altena
Als Jugendherberge war Wildenstein schon sehr früh dabei. Bereits acht Jahre vor ihrer Eröffnung, 1914, wurde in Altena im Sauerland die erste Jugendherberge ebenfalls in einem Schloss gegründet. Eine Idee, die sich von dort aus in die ganze Welt verbreitete. In den Anfangsjahren wurde sie von der Wandervogel-Bewegung vorangetrieben.

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Junge Menschen, die – oft geleitet von romantischen Idealen – bewusst aufs Land gingen, um Natur, Bewegung und Gemeinschaft zu erleben. Die Zugvögel zogen in Gruppen durch das Land und fanden Unterschlupf in alten Scheunen oder ungenutzten Schulgebäuden. Als feste Anlaufstellen für sie entstanden die ersten Jugendherbergen. Junge Wanderer blieben dort meist nicht länger als eine Nacht.
Erlebnispaket Jugendherberge
Im Grunde hat sich seitdem nicht viel geändert, sagt Susanne Pacher, Präsidentin des Landesverbandes Baden-Württemberg beim Deutschen Jugendherbergswerk. „Die Idee, Gemeinschaft in der Natur zu erleben, gibt es seit 100 Jahren und wird es auch weiterhin geben“, ist er sich sicher.
Und das trotz aller Konkurrenz durch online vermittelte Hostels und Privatzimmer: „Jugendherbergen sind mehr nur günstige Unterkünfte. Wir wollen auch Bildungsanbieter sein.“ Ab sofort können Sie hier komplette Erlebnispakete buchen.
Klettern, Kanufahren, Märchen
Dies gilt auch für Wildenstein. Die Lage über dem Donautal lädt zum Klettern und Kanufahren ein, aber die Hauptattraktion ist die Burg selbst, Studenten können beispielsweise der “Academia dos Mineiros” beitreten. Der Fokus liegt hier auf Spielen, die Vertrauen zwischen den Teilnehmern aufbauen sollen. Zum Beispiel das Abseilen von einer 15 Meter hohen Brücke in den Wassergraben.
„Das ist alles, was wir haben“, sagt Heinrich. Sie können auch einen Geschichtenerzähler engagieren. Anbieter sind in der Regel externe Unternehmen, die auf Erlebnispädagogik spezialisiert sind. Dafür will der regionale Jugendherbergsverband nun eine eigene Expertengruppe gründen und wirbt bundesweit für Kandidaten.

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Schlossherr hin oder her: Wer annimmt, Thomas Heinrich laufe mit einem großen Bund schmiedeeiserner Schlüssel durch die Räume, irrt. Der Heimleiter hält einen modernen Universalschlüssel in der Hand: “Einer reicht!”
Geheimgänge unter der Burg
Auch für die Wildensteinkapelle. Die kleine Kirche wurde von Gottfried Werner Graf von Zimmer erbaut, der die Burg im 16. Jahrhundert zu einer mächtigen Festung ausbaute. Die Kapelle hat genau zwei Sitzplätze für den Grafen und seine Frau, ihre Kinder mussten stehen. Beim Verlassen sehen Sie ein Schild an der Kapellentür, das auf einen Geheimgang im Gebetsraum hinweist.
Geheimgang? „Ach ja“, sagt Heinrich, dreht sich noch einmal um und schiebt einen dezenten Teppich vor den Altar. Eine schwere Holzklappe erscheint, unter der eine Holzleiter ins Dunkel führt. Für den Fall einer Belagerung schuf der Graf hier einen Fluchtweg von der Burg.
Heinrich zeigt den Geheimgang bei Führungen, er ist aber nicht Teil der Erlebnispädagogik. “Sehr gefährlich”, sagt der Vater der Herberge. Anscheinend gefährlicher als sich von der Schlossbrücke abzuseilen.

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Rund 40 Prozent der baden-württembergischen Jugendherbergsgäste sind Schulklassen, in Wildenstein sind es noch mehr. Außerdem Familien und viele andere Gruppen, zum Beispiel aus dem Schwäbischen Albverein, der Kirche und dem Musikbetrieb.
Gut, dass es in Wildensteins ehemaligem Bunker einen Gruppenraum mit zehn Meter dicken Wänden gibt – auch Chöre, die gerade erst mit ihrer Gesangsausbildung beginnen, können hier ungehindert proben.
“Für Lehrer ist die erste Nacht die schlimmste”
Im Moment ist es still im Hof, die letzten Gäste sind gegangen, die nächsten kommen erst am Nachmittag. Heike Horn steht an der Rezeption und zieht einen Stapel Papier aus dem Regal. “Eine Gemeinde, ein Professor mit seinen Studenten, eine Gruppe Touristen aus Polen auf der Durchreise”, zählt sie die Angemeldeten für den Abend auf.
Horn, gelernter Bürokaufmann, arbeitet seit 20 Jahren hauptsächlich an der Rezeption des Schlosses, hilft aber auch beim Putzen und Kochen. Sie kennt und kann damit umgehen, wenn Kinder aufgeregt durch die Schlosshallen spielen. „Das ist etwas Einzigartiges für sie“, sagt sie und fügt hinzu: „Für Lehrer ist die erste Nacht normalerweise die schlimmste. Danach wird es besser.“
Die Corona-Pandemie hat Hostels erschüttert
20 Jahre Arbeit in einer Jugendherberge – das ist keineswegs die Regel. Vor allem in der Corona-Pandemie litten Häuser, Mitarbeiter sprangen. Auch im Schloss herrschte Kurzarbeit. Im Frühjahr 2020 und Winter 2020/2021 waren Jugendherbergen mehrere Monate geschlossen und zwischenzeitlich nur mit eingeschränkter Kapazität geöffnet.
Wir waren die Ersten, die schlossen und die Letzten, die öffneten.
Vater der Thomas Heinrich Herberge
Corona verträgt sich nicht mit Wohnheimen für bis zu zwölf Personen, die aus unterschiedlichen Familien stammen.

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Jugendherbergen im Land wurden 2020 vom Kultusministerium in Stuttgart mit sechs Millionen Euro eingespart. Aber der Verein kommt aus „zwei absoluten Jahren weniger“, wie Präsident Pacher es ausdrückt. “Wir sind froh, dass wir es geschafft haben.”
Anstehende Renovierungen in Millionenhöhe
Die Buchungslage ist laut Pacher für den Rest des Jahres gut – auch wegen der Pandemie gebe es einen großen Bedarf an Klassenfahrten. Allerdings hat Corona das bereits bestehende Anlageportfolio in Jugendherbergen verschärft. Bis 2030 sind laut Verband an 20 Standorten Investitionen in Höhe von 170 Millionen Euro nötig.
Auch auf Schloss Wildenstein gibt es viel zu erleben. Thomas Heinrich kam bei seinem Rundgang am Ostturm an. Das Dach müsste saniert werden und die Schlafzimmermöbel sind im Gegensatz zum Herrenhaus noch älteren Standarts. Dabei geht es nicht nur um Waschbecken oder Toiletten im Zimmer, sondern auch um Details, die den gesellschaftlichen Wandel und die steigenden Ansprüche der Gäste widerspiegeln.

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„Früher wäre es undenkbar gewesen, dass jedes Bett eine Steckdose hat“, sagt Heinrich schmunzelnd. „Heute wäre es undenkbar, dass bei einer Renovierung keine Steckdose installiert wird.“ Wohin sollten Absolventen der Knappen-Akademie ihr Handy sonst tragen?
Burgherr gesucht
Thomas Heinrich beendet den Gang auf den Wehrgängen zwischen Innen- und Außengraben. Es ist dein letzter Sommer hier. Ende Jahr übernehmen er und seine Frau die Leitung der Jugendherberge in Fribourg. Ein Haus aus den 1980er Jahren, mit mehr als doppelt so vielen Betten und mit einem anderen Klientel, eher kommen ältere Studenten und Backpacker.
Wird er das Schloss vermissen? Heinrich lacht. “Ich denke schon”, sagt er. Doch der 59-Jährige und die vier Jahre jüngere Frau arbeiten seit 2008 hier und wollen sich nun einer weiteren beruflichen Herausforderung stellen. Und der Jugendherbergsverband sucht den nächsten Burgherrn für Wildenstein, werben im Internet.