Lange Zeit hatten Hayat und Mohamad auf der Flucht aus Syrien keine Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Jetzt haben sie Abitur gemacht.
Dornstetten – Die Brüder Hayat und Mohamad kamen vor fünf Jahren aus Syrien nach Deutschland. Hinter ihnen liegen Jahre in einem schullosen Flüchtlingslager. Nun haben sie das Gymnasium in Dornstetten mit Auszeichnung abgeschlossen. Die Aleppo-Brüder flohen 2012 mit ihren Eltern in die Türkei, manche per Lastwagen und Zug, andere zu Fuß.
Aber auch im Flüchtlingslager war das Leben alles andere als einfach. Obwohl Hayat und Mohamad froh waren, in die eigens eingerichtete Schule im Flüchtlingslager zurückkehren zu können, waren die Lebensbedingungen schwierig. Der Familie stand nur ein Keller zur Verfügung, ohne Wasser, Strom oder Badezimmer. Das Essen war knapp. Oft mussten sie verschimmeltes Brot essen – die Ersparnisse waren schnell aufgebraucht.
Der Schulbesuch wird nicht verweigert
Obwohl Vater Mohamad als Tagelöhner auf dem Bau arbeitete, erhielt er seinen mageren Lohn oft monatelang nicht. Daher mussten die neun- und siebenjährigen Brüder zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und als Kinderarbeiter in benachbarten Fabriken arbeiten. Unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, wie Hayat und Mohamad übereinstimmend berichten: „Schreien war normal und wir wurden vom kleinsten Fehler besiegt.“
Hayat und Mohamad konnten nicht mehr zur Schule gehen; von nun an war es notwendig, sich alles Notwendige selbst beizubringen. Mohamad hatte es etwas leichter, weil er bereits in Syrien Englisch gelernt hatte und das lateinische Schriftsystem kannte. Hayat, die in Syrien nur die erste Klasse besuchte, brachte sich Englisch durch Serien und Untertitel bei. Beide haben Türkisch im Alltag und “Arbeit” gelernt.
Vor allem wegen fehlender Bildungsmöglichkeiten sah der Vater Mohamad im türkischen Flüchtlingslager keine Zukunft für seine Kinder. 2015 ging er allein, zu Fuß und in einem überfüllten Boot nach Europa. Obwohl er seine Familie so schnell wie möglich nachholen wollte, sparten sie erst 2017 genug Geld für Flugtickets.
Studenten, wie man es sich wünscht
In Deutschland konnten die Brüder wieder zur Schule gehen, zunächst in die Vorbereitungsklasse der Dornstetter Werkrealschule. Nach ein paar Wochen wechselten beide in die siebte Klasse. Wie ihre ehemalige Lehrerin Solange Schröder erzählt, habe sie die Brüder sofort als hochmotiviert, neugierig und sehr engagiert wahrgenommen.
Hayat und Mohamad sind laut der Pädagogin Schüler, wie man es sich für sie wünschen könnte. Beide schlossen die High School mit einem A-Notendurchschnitt ab.
YouTube als Lehrer
Doch auch die beiden stießen anfangs auf Schwierigkeiten: „Die Geographie war schwierig“, sagt Hayat. “Ich habe nichts verstanden, ich habe einfach alles dekoriert und zu Hause im Internet nach Videos gesucht.”
Mohamad beschreibt auch eine ungewöhnliche Lernstrategie: Wenn er nicht weiterwüsste, würde er einfach das Tafelbild abmalen und nachts nach YouTube-Videos suchen. „Eigentlich lernen wir alles selbst“, erklären die Brüder.
Jetzt wollen die beiden ihr Abitur an der Luise-Büchner-Schule machen. Mohamad möchte Medizin studieren und Chirurg werden, Hayat ist sich noch nicht sicher, sie tendiert nach rechts. Bis dahin wollen beide ihr soziales Engagement in Dornstetten aufrechterhalten. Mohamad leitet einen Schachclub an der High School, Hayat arbeitet in der Nachmittagsbetreuung der Grundschule und dient in der Jugendfeuerwehr.
Die Eltern haben auch die Deutschprüfungen bestanden. Der Vater arbeitet in der Hüttenindustrie, die Mutter kümmert sich um Haushalt und Familie, zu der auch drei jüngere Brüder gehören.