Der BGH sprach eine Ehefrau frei, die ihrem Mann auf dessen Antrag eine tödliche Insulindosis gespritzt hatte, vom Vorwurf des Mordes auf Verlangen – ein bahnbrechender Prozess.
In einem soeben veröffentlichten Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof die Grenze zwischen strafbarem Mord auf Verlangen und Beihilfe zur ungestraften Selbsttötung neu definiert. Nach der aktuellen Rechtsprechung steht bei der Grenzziehung eine normative Betrachtung im Vordergrund.
Immer wieder wird der Todeswille des Mannes geäußert
Das Landgericht verurteilte die angeklagte ehemalige Krankenschwester wegen Mordes auf Verlangen zu einem Jahr Haft und setzte ihre Hinrichtung auf Bewährung aus. Das hat ihr schwerkranker Ehemann, den sie seit 2016 pflegt, immer wieder zum Ausdruck gebracht. Wunsch zu “gehen wollen”. Als die Schmerzen im Frühjahr 2019 fast unerträglich wurden und selbst hochdosierte Medikamente die Schmerzen nicht mehr lindern konnten, bat er seine Frau um Linderung. Am 7. August 2019 sagte er seiner Frau beim Kaffee: „Heute machen wir das“. Er will jetzt für immer „gehen“.
Ehefrau spritzt Ehemann tödliche Dosis Insulin
In derselben Nacht überreichte ihm seine Frau auf seine Bitte hin einen selbst gesammelten Vorrat an Pillen, die er selbst einnahm. Auf seine Bitte hin, die verbleibenden Insulininjektionen zu verabreichen, injizierte ihm seine Frau eine tödliche Dosis von 6 Insulininjektionen. Auf Bitten seiner Frau schrieb er dann mit zitternden Händen in ein Notizbuch, dass er nicht weiterleben wolle und verbot seiner Frau, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann schlief er ein und starb noch in derselben Nacht.
LG sieht Beherrschungsakt des Angeklagten
Das LG, das sich in erster Instanz mit der Sache befasste, sah den Straftatbestand des Mordes auf Verlangen im Sinne des § 216 Nr. 1 StGB als vollzogen an. Die angeklagte Ehefrau leistete nicht nur ungestraft Beihilfe zum Selbstmord, denn sie hatte die Ereignisse bis zum Tod ihres Mannes weitgehend selbst in der Hand. Obwohl ihr Mann ihren Tod aktiv wünschte, hatte er keine Möglichkeit, den kausalen Prozess, der zu ihrem Tod führte, vor seinem Tod zu stoppen. Nur der Angeklagte hatte diese Möglichkeit und damit die Kontrolle über die Tat.
Der BGH bestreitet die Beteiligung seiner Frau an der Tat
Der BGH bewertete den Sachverhalt anders. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe der Angeklagte die zum Tode führenden Ereignisse nicht wirksam kontrolliert. Der Täter hat eine solche Beherrschung der Tat, wenn sich der Selbstmörder dem allgemeinen Plan entsprechend in die Hände des anderen begibt, um seinen Tod duldend hinzunehmen. Soweit es dem Sterbewilligen nach Mitwirkung des „Helfers“ an der Tat noch freisteht, sich den Auswirkungen des ausgelösten Ereignisses zu entziehen, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor (BGH, Urteil vom 14. August 1963 , 2 StR 181/63).
Die Beherrschung des Handelns muss normativ bewertet werden
Allerdings ist nach der Entscheidung des BGH die Frage zu beurteilen, wer in der entscheidenden Phase, die zum Tod führt, für die Tat verantwortlich ist. nicht nur nach einer naturalistischen Unterscheidung Zwischen aktivem und passivem Handeln bedarf es einer normativen Bewertung des Gesamtgeschehens (BGH, Urteil vom 03.07.2019, 5 StR 393/18).
Die bedingungslose Bereitschaft des Mannes zu sterben überschattete das gesamte Ereignis
Diese Prozessführung führte nach Ansicht des BGH dazu, dass nicht die Angeklagte, sondern ihr Ehemann das Todesgeschehen kontrollierte. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte ihrem Ehemann das Insulin, das ihren Tod verursachte, aktiv verabreicht hat. Eine isolierte Betrachtung dieser tödlichen Injektionen wäre die der Angeklagten und ihres Mannes. Generalplan auf Ihre mehrfache Anfrage hin entschieden ist nicht gerecht. Der Ehemann selbst hat den Prozess, der zu seinem Tod führte, aktiv durch die Einnahme von Schmerzmitteln eingeleitet. Die zusätzliche Insulininjektion war Teil des einheitlichen Lebensendegesetzes, das vom Ehemann weitgehend selbst bestimmt wurde.
Die Gewährleistung des Status der Ehefrau wird durch den Willen des Ehemanns zu sterben ausgesetzt
Der Senat bestritt auch, dass die Angeklagten wegen Unterlassungsmordes bestraft worden seien. Als Ehefrau hatte sie gegenüber ihrem Ehemann eine Bürgenstellung gemäß § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB. Daraus kann jedoch keine Verpflichtung für den konkreten Fall hergeleitet werden, den Tod ihres Ehemannes im letzten Moment abzuwenden. Die Bürgschaftspflicht der Beklagten sei wegen des unbedingten Todeswillens ihres Mannes ausgesetzt worden. Auch die freie Entscheidung des Ehemannes zu sterben überschattete die Gesamtsituation völlig.
(BGH, Beschluss vom 28.06.2022, 6 StR 68/21)
Hintergrund
Der BGH befasste sich in seiner Entscheidung auch mit dem sogenannten „Gisela-Fall“, in dem die Rechtsprechung bislang überwiegend auf die Unterscheidung zwischen Mord auf strafbarer Anordnung und ungestrafter Beihilfe zur Selbsttötung abstellte.
Es gibt einen schmalen Grat zwischen Dominanz und Hilfe
Im Fall Gisela saß das todeswillige Opfer auf dem Beifahrersitz eines Autos, während der Angeklagte durch Treten des Gaspedals des Fahrers über einen am Auspuffrohr angeschlossenen Schlauch Abgase in den Innenraum des Autos ließ sitzen, bis ich das Bewusstsein verliere. Der Angeklagte überlebte, der „Passagier“ nicht. Damals hatte der Bundesgerichtshof den Angeklagten des fahrlässigen Totschlags für schuldig befunden, weil der Angeklagte beim Tritt aufs Gaspedal die ausschließliche Kontrolle über das Geschehen in der Schlussphase und damit die Kontrolle über die Tat hatte (BGH 2014). Richter, Urteil vom 14. August 1963, 2 StR 181/63).
Vielmehr hatte die Ehefrau im vorliegenden Fall nach Einschätzung des BGH keine Möglichkeit mehr, das Geschehen nach der Verabreichung der Insulininjektionen zu beeinflussen. Deshalb hatte sie keine objektive Handlungsbefugnis mehr.
Das Grundgesetz garantiert das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Der Senat hat sich in obiter dictum mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben auseinandergesetzt. Das höchste deutsche Gericht hatte die Strafvorschrift des § 217 StGB aF, die die aktive Sterbehilfe unter Strafe stellte, und des Art. 2 Abs. 1, Kunst. 1 Abs. 1 GG ein Recht auf selbstbestimmten Tod als Ausdruck der personalen Autonomie eines jeden Menschen abgeleiteten (BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651716; 2 BvR 1261/16 u.a.) .
Ist eine verfassungsrechtliche Auslegung des § 216 StGB erforderlich?
Ausgehend von dieser Entscheidung des BVerfG hält der BGH es für naheliegend, dass Art. für einen Menschen, der sterben möchte, um sich von seinem Zwang zu befreien, die Entscheidung, sein Leben selbst zu beenden, umzusetzen.
Es ist mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben schwer vereinbar, den Handelnden zu bestrafen, obwohl der Sterbewillige ohne diese Handlung sein verfassungsmäßiges Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht durchsetzen könnte.