Einmal mehr wird er sein „Bruderkuss“-Wandbild nicht restaurieren können, wenn es in der 1,2 Kilometer langen East Side Gallery in der Mühlenstraße von namentlich nicht genannten aufstrebenden Malern wieder beschmiert oder übermalt wird. Dmitry Vrubel aus Moskau – Jahrgang 1960, Maler, Dichter, Bohemien – starb am vergangenen Sonntag in seiner Pflegestelle in Berlin – an den Folgen einer Corona-Infektion.
Im Frühjahr 1990 gehörte er zu den 118 Künstlern aus 21 Ländern der Welt, die ihre meist politischen, oft utopischen Statements, wie bunte Graffiti auf dem langen Abschnitt des Muro do Sertão entlang der Spree, im Rausch der Ekstase hinterließen Mauerfall und die bevorstehende deutsche Wiedervereinigung. Mit damals leicht erhältlichem Anstrichmaterial waren die meisten nicht für den direkten Auftrag auf Beton geeignet, geschweige denn korrosionsbeständig.
Das Bild lief spektakulär um die Welt
Vrubels Foto ging damals als das spektakulärste in den Medien um die Welt, es wurde sozusagen Kult, millionenfach fotografiert, berührt und sogar beschmiert. Sowie viele weitere Wandbilder, wie der Davidstern auf der schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahne von Günter Schäfer aus Frankfurt. Jahre später war es soweit Galerie Ostseite so zermürbt und von Vandalen angegriffen, dass viele Künstler ihre Gemälde renovierten. 2009 übermalte Vrubel das Motiv des Bruderkusses originalgetreu mit wetterfesten Farben, von denen einige von der Paint Industry Association gespendet wurden.

dpa / Hannibal Hänschke
Dimitri Vrubel (1960–2022) im Jahr 2009 nach der Renovierung des Fraternal Kiss-Wandgemäldes in der East Side Gallery Berlin
Seitdem sind die Brüder und Schwestern küssenden sowjetischen Häuptlings Leonid Breschnew und Erich Honecker wieder originalgetreu in der ersten Fassung von 1990 zu sehen . Damals verewigte der französische Pressefotograf Régis Bossu mit seiner Kamera die legendäre Umarmung beim Abschluss des Zehnjahresvertrags zwischen der UdSSR und der DDR. Inhalt des Abkommens war, dass die DDR Schiffe, Maschinen und Chemikalien und die Sowjetunion im Austausch gegen Öl und Nuklearmaterial zur Verfügung stellte.
Dies wurde von den beiden Herrschern tatsächlich mit einem Mund-zu-Mund-Kuss besiegelt. Breschnew und Honecker neigen die Köpfe, die Haut im Nacken legt sich über Breschnews Kragen. Ineinander verschlungen pressen die alten Männer die Lippen zusammen und halten die Augen geschlossen. Breschnews Gesicht ist babyrosa, Honeckers blasses Gelbgrün. Dieses Foto schickte die französische Bildagentur unter dem Titel „Le Baiser“ an Redaktionen in aller Welt.
Als Dmitry Vrubel damals das Foto sah, „elektrisierte“ ihn das, wie er einmal sagte. Dass sein Foto bald als „Star“ der East Side Gallery in Wendes Berliner Geschichte eingehen würde, hätte der damals 30-Jährige 1990 nicht ahnen können. Und dass ihr sarkastisches Motiv der sich küssenden Bosse allmächtiger Geschwisterpartys eines Tages als Mona Lisa des Louvre mediale Berühmtheit erlangen würde. Irgendwie war dieser „Eigenauftrag“ auch ein Grund für Vrubel, zusammen mit seiner zukünftigen Frau – der Künstlerin Victoria Timofeeva – Berlin zu seiner Wahlheimat zu machen.
Tatsächlich gab er dem Motiv 1990 den Titel „Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben“. Und das war zunächst kein explizit politisches Statement, sondern hatte persönliche Gründe. Er war untröstlich und suchte nach einem Ausweg durch gesunde Ironie. Gleichzeitig wollte der freigeistige Sohn einer Moskauer Ingenieursfamilie unbedingt seine Liebe (und Angst) für Russland und das russische Volk darstellen. Und durch seine Kunst an Bekanntheit zu gewinnen, was er auf bemerkenswert kontroverse Weise getan hat – sowohl gefeiert als auch feindselig. Denn in seiner ehemaligen Heimat Russland stoßen an seiner satirischen Wandmalerei manche Menschen, die der Sowjetunion und ihrem einstigen Machtgefüge treu ergeben sind.
Die vielen Besucher der East Side Gallery, Freunde, sind ganz anders. Blumen hängen seit Montag an Vrubels Wand, als die Nachricht von seinem frühen Tod bekannt wurde.