Sie trägt ihren Kopf buchstäblich in den Wolken, denn über ihrer Nasenspitze werden ihre Augen von einem Stück Himmel zusammengeklebt, das von einem einzelnen Vogel überquert wird. „The Curve“ heißt die kleine Collage aus dem Jahr 2022, in der die Flugbahn des Vogels eine leidenschaftliche Beziehung zur schrägen Schattenlinie des weiblichen Brustausschnitts eingeht. Aus wenigen Elementen hat Miriam Tölke in ihren Collagen in den letzten fünf Jahren eine poetische Welt zwischen „Traum und Wirklichkeit“ geschaffen, wie der Titel ihrer ersten Einzelausstellung bei Johanna Breede sagt.
Die Bildausschnitte mit jeweils eigener zeitgenössischer Farbgebung stammen aus alten Zeitschriften, Büchern und Zeitungen der 1960er bis 1990er Jahre und der Vorkriegszeit. Lediglich die Zeit des Dritten Reiches wird als Quelle verdorbener Bilder der Unmenschlichkeit bewusst außen vor gelassen. Vorwiegend in Schwarzweiß mit gelegentlichen Farbakzenten und nicht größer als das Vorlagenformat entstehen Collagen von großer Ruhe, Leichtigkeit und Klarheit. Nahezu schwebend gewinnen die an einigen Stellen geklebten Bildausschnitte ein wenig von der Lebendigkeit der dritten Dimension zurück. Es ist ein Spiel mit der Zeit, in dem ohne Scheu vor Schönheit zwei Motiv- und Bildwelten aufeinandertreffen: Frauen- und Naturdarstellungen.
Mal verbinden sie sich zu einer Art Metamorphose, mal prallen sie aufeinander wie fremde Welten, sie berühren und durchkreuzen, erleben und unterstützen sich gegenseitig. Anders als bei Hannah Höch hat die Begegnung fremder Welten in Miriam Tölkes Collage jedoch weniger eine dadaistisch-politische als vielmehr eine surrealistisch-poetische Dimension. Werke wie „Foundling“ von 2020, in denen eine dunkle Wasseroberfläche die rechte Hälfte des Frauenkopfes wie einen Monolithen zum Bersten bringt, will man sofort in ein Gedicht übersetzen, das man lesen könnte: „It occupies your brain solid as granit / schmiegt sich an seine klaffende Stirn / Hat sie ihn gefunden? War er derjenige, der sie gefunden hat? / Es ist immer noch unbekannt, wer wen gefesselt hat.“
Fast unbekannt, aber 17.000 Follower auf Instagram
Bei manchen Collagen wie dieser ist die Bildsprache so stimmig, dass der Künstler auch in sehr kleinen Auflagen hochwertige Auflagen produzierte. Sie experimentiert mit unterschiedlichen Papieren, Formaten und Reproduktionstechniken, wie dem Achival-Pigmentdruck auf feinem Papier aus Japan oder dem Toyobo-Druck auf handgeschöpftem Kochi-Papier, bei dem die Vergilbung der Originalcollage von Hand koloriert werden muss, damit sie im Grunde einzigartig werden. Teile werden neu erstellt. Unabhängig von der Frage nach Original oder Edition tragen Tölkes Collagen wie die von Hannah Höch eine eigene künstlerische Handschrift, die Fragen nach Herkunft und Intention aufwirft. Wer ist diese noch wenig bekannte Künstlerin, die nach einer ersten Einzelausstellung in der Galerie Bilderhalle in Amsterdam im Sommer 2022 nun ihren ersten Soloauftritt in Deutschland hat, obwohl sie bereits 17.700 Follower auf Instagram hat?
1977 in Bielefeld geboren, begann Miriam Tölke vor dem Abitur dank einer Begabungsprüfung an der Kunstakademie in Stuttgart ein Studium der Malerei, bevor sie 2001 nach Berlin zog. Durch die Verwendung gefundener Materialien transformierte sie nicht nur finanzielle Schwierigkeiten von Beginn an , aber auch immer mit gearbeitet, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Recycling, das im Gegensatz zur glamourösen Welt der Magazin-Illusion in einem anthroposophischen Ursprung wurzelt. Ein mentaler Prozess der Dekonstruktion, Transformation und Reinkarnation zeigt sich auch in seinem Schnitt und Zusammenbau, der versucht, etwas von der Natur der ausgestellten Frauen im Magazin zurückzugeben. Dies geschieht auf leichte und überzeugende Weise, da es zum Wesen der Kunst gehört.
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