Dieser Fall ist ein Alptraum für Ärzte und Gesundheitsbehörden. Im August 2016 isolierten Ärzte das Bakterium Klebsiella pneumoniae aus einer Wunde einer Frau im US-Bundesstaat Nevada. Dieser Krankenhauskeim war gegen 26 Antibiotika resistent, auch die Behandlung mit dem Reserveantibiotikum Colistin schlug nicht an. Die Frau starb kurz darauf an einer Blutvergiftung.
Der Fall zeigt, wohin die Welt steuert: Im Fachblatt „Science Translational Medicine“ warnen Michael Cook und Gerard Wright von der McMaster University in Kanada vor einer bevorstehenden „Post-Antibiotika-Ära“. Einige Infektionen, die früher routinemäßig mit im 20. Jahrhundert entdeckten Medikamenten geheilt wurden, konnten nicht mehr behandelt werden. Damit sei er bereits konfrontiert, schreibt das Duo und verweist auf resistente Varianten des Krankenhauskeims Acinetobacter baumannii oder der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis.
Auch in Deutschland sterben Menschen an Erregern, denen herkömmliche Antibiotika nichts mehr anhaben können, betont Andreas Peschel vom Deutschen Infektionsforschungszentrum (DZIF). „Diese Fälle werden zunehmen“, sagt der Mikrobiologe aus Tübingen.
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Jährlich werden bis zu zehn Millionen Todesfälle befürchtet
Eine Anfang 2022 im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichte Studie zeigt das Ausmaß des Problems: Demnach starben im Jahr 2019 weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen direkt an einer Infektion mit einem antibiotikaresistenten Erreger Eine Infektion sei zumindest teilweise für den Tod verantwortlich gewesen, schreibt das Team um Christopher Murray von der University of Washington. Das macht Antibiotikaresistenzen weltweit zu einer der häufigsten Todesursachen.
Die Autoren fordern, dass dringend neue Antibiotika entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Aber genau das fehlt, und das seit Jahrzehnten. Auch internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die EU und die G7 – zuletzt auf ihrem Juni-Gipfel auf Schloss Elmau – erkennen das Problem. Aber es passiert fast nichts. Wenn sich das nicht ändert, warnt ein von der britischen Regierung in Auftrag gegebener Bericht, könnte die Zahl der Menschen, die an solchen Infektionen sterben, bis 2050 auf zehn Millionen pro Jahr steigen.
Der lange Weg zur Zulassung
Weil ist? Insbesondere Bakterien haben Substanzen entwickelt, um konkurrierende Bakterien in Schach zu halten. Bisher ist nur ein kleiner Bruchteil dieser antibakteriellen Substanzen bekannt. Gleichzeitig entwickeln Mikroorganismen ständig Möglichkeiten, sich zu schützen und resistent zu werden.
Ende der 1920er Jahre entdeckte der britische Arzt Alexander Fleming per Zufall das erste Antibiotikum, das aus einem Pilz stammende Penicillin.In den folgenden Jahrzehnten entdeckten Forscher diese Substanzen, indem sie Bakterien – meist aus Bodenproben – im Labor züchteten und dann testeten, ob dies der Fall war Die von ihnen hergestellten Substanzen wirkten gegen Krankheitserreger. Vor allem in den 1940er bis 1960er Jahren brachten Pharmaunternehmen viele Antibiotika auf den Markt.
„In der Prä-Antibiotika-Ära wurde mehr als die Hälfte der Todesfälle durch Infektionen verursacht“, schreiben Cook und Wright. Die neuen Medikamente hätten die Infektionssterblichkeit drastisch gesenkt und damit die Lebenserwartung der Menschen erhöht. Die Infektionskontrolle ist auch heute noch für viele grundlegende medizinische Anwendungen von entscheidender Bedeutung, von Operationen über Chemotherapie bis hin zu Organtransplantationen.
Doch das goldene Zeitalter der Antibiotikaforschung ist vorbei. Die Rate, mit der neue Medikamente auf den Markt kommen, ist auf ein 80-Jahres-Tief gefallen, schreiben Cook und Wright. Der letzte als Antibiotikum zugelassene Wirkstoff mit einem neuen Wirkstoff wurde in den 1980er Jahren entdeckt, wie ein Team um Rolf Müller vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift Nature schrieb.
Laut einer Datenbank werden 73 Substanzen in klinischen Studien am Menschen getestet; 54 davon in frühen Stadien, in denen die Sicherheit überprüft wird. Bis auf etwa fünf Ausnahmen seien alle diese Substanzen Weiterentwicklungen älterer Antibiotika, sagt Müller. “Das hilft nicht viel. Wir müssen neue chemische Grundstrukturen finden.”
Ob eines der derzeit geprüften Medikamente auch zugelassen wird, ist nicht sicher. „Wenn etwas schief geht, schafft es keiner“, sagt Yvonne Mast vom Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig. Denn Substanzen müssen nicht nur wirken, sondern auch gut verträglich sein. „Die meisten Substanzen schaffen es in der Regel nicht bis zur Zulassung“, sagt Müller.
Die pharmazeutische Industrie haftet gesamtschuldnerisch
Der jahrelange Mangel an Nachschub hat einen Grund: „Die Großindustrie hat sich aus wirtschaftlichen Gründen zurückgezogen“, sagt Müller. Antibiotika sind sehr billig und die Behandelten erholen sich normalerweise schnell. Sollte ein neuartiges wirksames Antibiotikum auf den Markt kommen, würde es zudem wahrscheinlich nur in Notfällen eingesetzt, um die Entwicklung von Resistenzen zu erschweren. Dies wirkt sich auch auf die Gewinne der Hersteller aus.
Medikamente gegen Bluthochdruck, die oft lebenslang eingenommen werden, oder hochpreisig verkäufliche Medikamente wie Krebstherapien, seien laut Müller für Pharmakonzerne weitaus lohnender. Die Zahl der Krebsmedikamente in der Pipeline der Pharmaunternehmen wird derzeit auf über 1.300 geschätzt.
Neue Strategien gegen resistente Erreger sind gefragt. An Universitäten und anderen Forschungsinstituten gibt es durchaus Ideen und Initiativen, um neue Antibiotika zu finden: Ein Team um Sean Brady von der Rockefeller University in New York hat mit einer eigens entwickelten Methode zwei neue Substanzen gefunden, die in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden.“ Natur“ und „Wissenschaft“. Der Ansatz nutzt die Tatsache, dass immer mehr Gene für antibakterielle Wirkstoffe entschlüsselt wurden.
Brady ging für die in „Science“ vorgestellte Substanz wie folgt vor: Zunächst analysierte das Team etwa 10.000 bekannte Bakteriengenome auf der Suche nach Erbfaktoren, die die Vorlage sogenannter Lipopeptide enthalten. Diese Stoffgruppe kann Bakterien über mehrere Mechanismen beeinflussen. Fast 3.500 Gencluster sahen aufgrund ihrer Größe und Struktur vielversprechend aus.
Die Gruppe konzentrierte sich auf Gruppen von Genen für bisher unbekannte Lipopeptide. Es wird erwartet, dass hier Substanzen mit neuen Wirkmechanismen gefunden werden. Der Wirkstoff Cilagicin erwies sich im Labor als wirksam gegen resistente Enterokokken oder resistente Varianten des Wundkeims. Staphylococcus aureus. Diese Substanzen können jedoch toxisch für die Nieren oder die Leber sein. Ob sie für den Einsatz am Menschen geeignet sind, bleibt abzuwarten.
Alternativen zu Antibiotika
Ein Team um Martin Grininger von der Universität Frankfurt stellte im Fachblatt „Nature Chemistry“ eine Methode vor, um Antibiotika und andere Wirkstoffe mit Fluoratomen auszustatten und so gezielt ihre pharmakologischen Eigenschaften zu verändern: etwa Bindung an Zielmoleküle, Stabilität und Verfügbarkeit. auf den Körper und die Wirksamkeit. Die Machbarkeit des Ansatzes wurde mit dem Antibiotikum Erythromycin demonstriert, pharmazeutische Studien stehen jedoch noch aus.
Im Kampf gegen bakterielle Krankheitserreger gibt es Alternativen zu Antibiotika. Neue Impfstoffe wie ein mRNA-Impfstoff gegen Tuberkulose sollen helfen. Hoffnungen ruhen auch auf synthetisierten Antikörpern, die bestimmte Bakterien neutralisieren. Und Bakteriophagen wurden wiederentdeckt. Das sind Viren, die sich in Bakterien vermehren, bis sie die Bakterien zum Platzen bringen.
Zehn Jahre bis zur Marktzulassung neuer Wirkstoffe
Es gibt neue Ideen und Ansätze, wie man neue Wirkstoffe kreieren kann. Doch wer soll sie durch klinische Studien zur Marktreife führen? Universitäten haben dafür weder das Geld noch die Erfahrung. Müller schätzt, dass solche Entwicklungen zehn bis zwölf Jahre dauern und ein bis zwei Milliarden Euro pro Medikament kosten.
Wenn sich große Pharmaunternehmen zurückziehen, müssten kleine Unternehmen die Lücke füllen, schreiben Cook und Wright. Bei großen Risiken wie dem Scheitern sollten finanzielle Anreize für sie geschaffen werden. Großbritannien zum Beispiel will Unternehmen unterstützen, die die benötigten Antibiotika unabhängig von den Verkaufszahlen gegen Aufpreis produzieren. Vergleichbare Projekte gebe es laut Müller in Schweden, ein ähnliches Vorgehen sei in den USA in Vorbereitung.
Auch in Deutschland brauche es öffentliche Gelder, um die Antibiotikaforschung anzukurbeln, sagt Peschel. „Es muss staatliche Anreize geben. Das ist weit weg in Deutschland.“ Um das Problem strategisch anzugehen, schlägt Müller vor, alle Beteiligten zusammenzubringen, damit Ressourcen effizienter genutzt werden können: Arzneimittelforscher, Ärzte und Vertreter der Pharmaindustrie.
Auch wenn es Förderungen und Kooperationen gegeben hätte: Peschel rechnet nicht mit sofortigen Erfolgen: „Wirkstoffforschung dauert viele Jahre.“ Was jetzt entdeckt wird, wäre nicht mindestens zehn Jahre auf dem Markt.