Über 250 Obst- und Beerensorten wachsen dort, wo die Kapuziner arbeiteten. Das Culinarium Alpinum, das sich der kulinarischen Vielfalt der Alpen widmet, befindet sich seit zwei Jahren in Stans NW. Im Klostergarten entstand eine „essbare Landschaft“.
Vera Rüttimann
Alpkäse, Pilzterrine, Kräuterquark und Kartoffeln kommen auf den Teller. Es gibt auch Quittensaft. Gefolgt von einem guten Weisswein aus Meggen LU. Die Produkte stammen von Produzenten aus der Region und der Zentralschweiz. Im Restaurant, dem ehemaligen Refektorium des Kapuzinerklosters, sitzen Einwohner, Touristen und Pilger. Sie wollen hier gut essen, manche übernachten auch.
“Wir kochen nicht nur altes Zeug.”
Peter Dürrer, Küchenchef
Im Restaurant plaudert Peter Durrer mit seinen Gästen. Über das Essen hier sagt der Co-Direktor und Küchenchef des Culinarium Alpinum: „Wir kochen nicht nur Altes, sondern kreieren aus hochwertigen Produkten auch Neues.“ Zunächst zögerte er, die Stelle des Mieters anzunehmen. Doch schon bald begeisterte ihn das Konzept und die Atmosphäre des Klosters mit seinen schiefen Räumen.
Peter Durrer (links) mit dem Küchenchef des Restaurants.
Marie-Isabelle Bill, Kommunikationsleiterin der Keda Foundation (Kulinarisches Erbe der Alpen), hat sich sofort in diesen Ort verliebt. Sie erinnert sich noch gut an die Anfänge des Culinarium Alpinum vor zwei Jahren. «Als ich das erste Mal hier im Innenhof war, hat es mich bam gemacht! Ich habe mich sofort wohlgefühlt.“ Kulinarisch ist sie quasi „vorgebildet“: „Meine Großmutter, aus einer Waadtländer Weinfamilie, war Köchin und mein Großvater arbeitete als junger Käser im Baltikum.“
Maria Isabelle Bill.
Ort mit bewegter Geschichte
1584 zogen die ersten Kapuzinerbrüder in das neu gegründete Kloster ein. Finanziert wurde der Bau von Melchior Lussi, der in einem Denkmal an der vorderen Außenwand verewigt ist. Die Brüder arbeiteten hauptsächlich in der Seelsorge und im Schulunterricht.
Die heutige „Werkstatt“ ist nicht weit vom Klostertor entfernt. „Dieser Tisch stand in der Mensa“, sagt Peter Durrer. Dieser Raum war einst die Lateinschule. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde daraus das Kolleg Stans.
Vom Tor aus sieht man das langgestreckte Gebäude der Knabenschule Sankt Fidelis. 1988 übernahm der Kanton Nidwalden die Schule und schloss das Internat. Im August 2004 wurde das Kloster aufgegeben. Die letzten verbliebenen Brüder zogen in andere Bettelordenshäuser in der Schweiz.
Im Gartenrestaurant.
Essbare Landschaft
Der Blick vom Restaurant geht auf den Klostergarten. Marie-Isabelle Bill erzählt den Gästen, dass die Aprikose keine heimische Pflanze ist, sondern von Ordensleuten aus nah und fern hierher gebracht wurde. Kloster- und Kulinarikgeschichte sind eng miteinander verbunden.
Auch Josiane Enggasser steht in der sengenden Hitze. In dem einst von den Brüdern terrassierten Garten entsteht in Zusammenarbeit mit Pro Specie Rara, der Schweizerischen Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren, und Fructus, dem Verein zur Förderung von Obstsorten, ein aussergewöhnliches Projekt. Antike : Die “essbare Landschaft”. Der Manager dieses Projekts sagt: „Hier werden mehr als 250 Obst- und Beerensorten gepflanzt und ein Kräutergarten in Hochbeeten angelegt“.
Josiane Enggasser, Projektleiterin, über die „essbare Landschaft“.
Hier werden alte, unbekannte und bewährte Sorten angebaut. Zum Beispiel Johannisbeersorten wie die «Verrière Blanche» oder die Bündner Rothimbeere Safner. „Die gesamte Anlage wurde als Imbissgarten konzipiert. Probieren kann es jeder“, sagt Josiane Enggasser.
Im Bereich „Raritäten“ werden unbekannte Obst- und Beerensorten angebaut, die auch wegen der Klimaerwärmung gedeihen: etwa Japanischer und Szechuan-Paprika, Granatäpfel oder Kreuzungen aus Sauerkirschen und Pflaumen. Enggasser führt zu einem kleinen Halm. Dort wächst auch etwas Seltenes: eine rote Quitte. «Dieser Baum ist einzigartig in der Schweiz», sagt sie. Entlang der Mauer wurden mehrere Spalierbirnen gepflanzt. Pflege, Pflücken und Beschneiden werden in Kursen vermittelt. „Wenn Pflanzen gedeihen und es wirtschaftlich sinnvoll ist, versuchen wir landwirtschaftliche Produzenten davon zu überzeugen, sich an die Produktion zu wagen“, beschreibt Josiane Enggasser die Vision „Essbare Landschaft“.
Keller unter dem Kloster.
Der Schatz des Klosters: ein Käse
Marie-Isabelle Bill macht nicht nur Klosterführungen, sondern auch Alpsbrinz-Verkostungen. „Das ist mein Lieblingsort“, sagt sie, als sie den Keller betritt und eine Tür öffnet. „Ich bin ein Käsekind, und wenn ich hier bin, geht es wahnsinnig los!, und ich stehe im Käseladen meiner Großeltern“, schwärmt sie. In einem dunklen Raum im ältesten Teil des fast 440 Jahre alten Klosters liegen Brinzbrote aus den Alpen, die Bill als „wahren Schatz des Klosters“ und „unser wichtigstes Baby“ bezeichnet. Alpsbrinz ist der älteste Käse der Schweiz. «Dieser für die Innerschweiz typische Extrahartkäse wird in nur acht Alpen in den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Luzern hergestellt», sagt sie.
Alpensbrinz im Klosterladen.
Klosterbrot, Dulce de Leche, eingelegtes Obst
Wir gingen in den Klosterladen. „Ein gefährlicher Ort für den Geldbeutel“, lacht Marie-Isabelle Bill verschmitzt. Die Einheimischen wissen warum: Hier gibt es Leckeres, das schwer zu bekommen ist. Klosterprodukte wie Milchkaramell. Die Dulce de Leche zergeht förmlich auf der Zunge. Gäste verwenden ihn gerne als Brotaufstrich und als Zuckerersatz. Neben Obst und Gemüse aus der Dose ist auch „Klosterbrot“ beliebt. „Wir backen jeden Morgen frisches Brot, genau wie Kapuziner“, sagt Christoph Koller, der seit der Eröffnung des Culinarium Alpinum als Sous-Chef in der Küche arbeitet. Im Klosterbrot sind Sonnenblumenkerne. Die Sonnenblume war ein Symbol des Heiligen Franz von Assisi.
Marie-Isabelle Bill Im Klosterladen.
Auch regionale Produzenten sind hier mit ihren Produkten vertreten: die Ziege mit Quark und Dörrfleisch, die Brennnesselfrau, die Ur-Dinkel-Bauerin, die Chräbeli-Macher, die Honig-Macher… Sogar Safran aus der Surselva gibt es. „Darauf sind wir sehr stolz, wir wollen den Landwirten zeigen, dass sie seltene Pflanzen selbst anbauen und vermarkten können“, erklärt Bill eine der Grundideen des Culinarium Alpinum.
Kulinarisches Erbe der Alpen
Aber jetzt zum Hostel. Unterwegs schlendert der 59-Jährige durch einen Kreuzgang mit beeindruckenden Schwarz-Weiss-Fotos des Luzerner Fotografen Silvan Müller. Alle stammen aus Dominik Flammers Buch „Das kulinarische Erbe der Alpen“. Marie-Isabelle Bill sagt: „Flammer ist der Spiritus Rector des Culinarium Alpinum“.
Marienstatue im Innenhof des alten Klosters.
Dann, in einem Innenhof, eine weitere spirituelle Bezugsperson: eine Statue der Muttergottes. Anmutig betrachtet sie das Geschehen. „Sie gehört einfach hierher“, sagt Marie-Isabelle Bill. Durch die hochmoderne Küche gelangen wir zu mehreren Seminarräumen. Einige von ihnen sind in den ehemaligen Kapuzinerquartieren untergebracht. Außerdem findet der Hotelgast eine kleine Bibliothek gemütlich eingerichtet mit Literatur zur alpenländischen Küche. Ein Blick geht in den großen Saal des Klosters, in dem sich die Bibliothek befand und der heute für Veranstaltungen genutzt wird.
bewusst minimalistisch
Besonders gespannt bin ich auf die vierzehn Zimmer der Herberge, in denen früher die Kapuziner geschlafen haben. Jeder von ihnen ist nach einer alten Apfelsorte benannt. Die Zimmer sind komfortabel eingerichtet. Der Holzboden und die lindgrünen Holzwände strahlen Wärme aus. Die Möblierung ist bewusst minimalistisch: Es gibt keinen Fernseher, aber einen einfachen Holztisch mit Apfelsaft. Auf dem großen Boxspringbett liegt man bequem. Vor dem Fenster breitet sich das Alpenpanorama aus. Für den Umbau wurden zwei Klosterzellen zusammengelegt, jede Zelle wurde in zwei Badezimmer umgewandelt.
Korridor des ehemaligen Kapuzinerklosters, heute ein Hotel.
«Beinhaus», «Kapelle», «Frauenkloster»
Marie-Isabelle Bill kommt in den Chorinnenraum, vor dem hohe alte Holzschränke stehen. Einst von den Kapuzinern genutzt, dienen sie heute dem „Verein Kapuzinerkirche Stans“, der das früher in Nidwalden gelebte franziskanische Gedankengut am Leben erhalten, die Kirche erhalten und mit kirchlichen Gottesdiensten ein reges Gemeindeleben gewährleisten will.
Liste der Standorte der Brüder gegenüber der Sakristei der Klosterkirche.
Gegenüber dem Eingang zur Sakristei befindet sich ein buchstäblich aus einer anderen Zeit stammendes Objekt: eine Ortsliste. Der Holzrahmen zeigt, welches Geschwisterchen welche Aufgabe erledigt. Neben “Beinhaus” oder “Kapelle” gibt es noch einen weiteren Platz. „Vater Bruno“, lacht Marie-Isabelle Bill, „hatte vielleicht den interessantesten Job – er leitete das Kloster.“
«Kochen verbindet Menschen»
Marie-Isabelle Bill ist überzeugt: „Essen verbindet Menschen“. Vor allem dann, wenn der Gast feststellt, „dass ein Gericht mit Liebe, Herzblut und Hingabe zubereitet wurde“. Als Gastgeber hingegen ist es bereichernd, dem Gast einen Teil der eigenen Kultur vermitteln zu können, indem man etwas aus der Region für ihn kocht. „Diese Philosophie versuchen wir auch im Culinarium Alpinum zu leben: So bewahren und schaffen wir alpenländische kulinarische Traditionen.“
Sie sieht die Corona-Pandemie als Beschleuniger von Trends, die sich bereits in der Gesellschaft abzeichneten und hier auf vielfältige Weise erlebt werden: „Gutes, sauberes und faires Essen, Wertschätzung der Gaben der Natur und durch Traditionen verbundenes soziales Miteinander“.
© Katholisches Medienzentrum, 17.08.2022
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