ichIrgendwo auf der Landstraße hinter Wasserburg kommt das Sommerfeeling der Kindheit auf. Man fährt mit dem Traktor durch Wald und Wiesen, kurbelt das Autofenster herunter, riecht Gras und Teer und sieht den Bildstock am Wegesrand vor den Höfen vorbeiziehen. Es ist die schönste Zeit des Jahres, alles fühlt sich wie ein ewiger Urlaub an und es gibt noch etwas, worüber man sich freuen kann: einen See. Ein See mit Steg, der sich barfuß etwas sonnig anhört und an dem man träumen oder von dem aus man mit einem Sprung ins Wasser springen kann. Ein See mit Liegewiese und Kiosk und alten, belaubten Bäumen.
Der Obinger See ist klein und liegt gegenüber dem ebenfalls sehr überschaubaren Ort mit Kirche und einigen Gasthäusern. Bis zum Chiemsee sind es von hier aus nur zehn Kilometer, aber wer will schon in der Hochsaison an den Chiemsee, wo Touristen um Parkplätze und Caféstühle drängeln? Strandbad Obing hingegen: An einem Vormittag, an dem die Kinder noch zur Schule müssen, campen hier vor allem ältere Menschen und junge Mütter mit ihren Kindern am Strand. Rentner stellen ihre mitgebrachten Sonnenliegen unter Birken oder unter blaue Schirme mit Eiswerbung. Enten im grünen Wasser und Bienen im Klee der Liegewiese sind den menschlichen Gästen gleichgestellt. Im Falle eines Bienenstichs, der zu einem anaphylaktischen Schock führt, hoffen wir, dass die freiwilligen Rettungsschwimmer, die auf der Terrasse ihres Bootshauses Kaffee trinken, eine Weile plaudern und das Geschehen genau verfolgen, Sie retten können.
Wassertemperatur: 23 Grad
Allerdings kündigt sich keine Katastrophe an, der See ist flach und ereignislos wie ein Teich. Das Spannendste an diesem Morgen ist die Temperatur: Gerade mal 22 Grad stöhnen Strandbesucher vor dem Schild der Wasserrettungshütte, aus 22 wird im Laufe der Stunden irgendwann 23.
Schließlich ist Ruhe das, was Sie sich in diesem seltsamen Sommer der Katastrophen am meisten wünschen, und hier ist sie. Im Dreiklang aus Wasser, Himmel und Kirchturm schnurrt die Welt zusammen, denn der Turm der gotischen Kirche von São Lourenço spiegelt sich im Wasser, als hätte hier irgendein Tourismusmanager mit einem Bildbearbeitungsprogramm nachgeholfen. Wenn Sie den Kopf ein wenig nach rechts drehen, sehen Sie Wälder und Wiesen, wenn Sie den Kopf nach links drehen, sehen Sie Berge. Wenn Sie es um den Hals legen, können Sie die Wolken am blauen Himmel sehen. Glücklicherweise gibt es nicht viel mehr zu tun. Ein Besuch im Strandbad in Obing ist eine Entschleunigungsübung.
Lob der Bescheidenheit
Meister dieser Kunst der kontemplativen Langsamkeit sind die beiden älteren Herren, die mit dem Rücken zur Wand nebeneinander auf einer Bierbank vor dem Kiosk sitzen und nur starren. Sie trinken ihr Bier stundenlang ganz in Ruhe, fügen ab und zu eine Johannisbeerschorle hinzu und ändern nur ganz, ganz selten einen halben Satz. Finden Sie es unpassend, dass der junge Mieter, der gerade den Kiosk übernommen hat, die alten Hütten abgerissen und einen Raum unter dem Holzdach eingerichtet hat? Es ist mir egal, wer den Kiosk unter mir mietet, sagt seine Körperhaltung. Die anderen Einheimischen an den Tischen sind überraschend tätowiert und bestellen Pommes, Bier und Eis, wie es im Strandbad üblich ist. Auf der Liegewiese kann man noch die gute alte Gefriertruhe bestaunen, die manch einer schon ausgestorben hielt: Rentnerehepaare picknicken andächtig beim Sammeln von Käse, Gurken und gekochten Eiern. Ein Kompliment der Bescheidenheit! Diese Leute kümmern sich nicht um annullierte Flüge nach Mallorca, und sie brauchen auch keinen Kaffee in Pappbechern, um sich am Flughafen abzulenken, während sie auf das Urlaubsglück warten. Das Glück ist bereits da.
versunkene Vergangenheit
Ludwig Bürger, Direktor i.R. und Ortskonservator, weiß, dass es hier am Obinger See schon immer bescheiden zuging. Der See gehörte ursprünglich zum benachbarten Bauernhof, der kürzlich in eine Wohnanlage umgewandelt wurde. Einheimische haben hier schon immer gebadet; Bürger selbst tauchte als Junge in der Nachkriegszeit auf der Suche nach den Waffen, die die Amerikaner bei ihrer Abreise in den See geworfen hatten: “Als ich eine Handgranate fand, war das eine Show.” „Fast jeder Besitzer hat damals sein Zimmer aufgeräumt und an Gäste vermietet“, sagt Bürger. Sie blieben fünfzehn Tage, bräunten ihre blassen Körper im Strandbad, schwammen im See und gingen nachts ins Gasthaus: “Man war nicht sehr mobil, kaum jemand hatte damals ein Auto.” Am damaligen See kündigt sich auf der Liegewiese noch die „Sorgende Mutter“ an, eine Skulptur des Obinger Holzbildhauers Ernst Hofstetter, aus dieser Zeit, als das Strandbad Mittelpunkt des Feriengeschehens war und die einheimischen Burschen den Mädchen den Hof machten die Stadt heftig: Die rundliche Dame im gestreiften Badeanzug muss wegen ihres Fernglases das Geschehen im Auge behalten und sehen, ob sie auch zivilisiert ist.
Auch wenn die jungen Helden von heute ihr Publikum immer noch mit waghalsigen Sprüngen von der Pier beeindrucken – viele Touristen suchen weltweit nach größeren Attraktionen. Wer einen Tag am See in Obing verbringt, hat nichts Aufregendes zu posten, aber nachts ist man voll von der Sonnenhitze, vom Wasser aufgeweicht, ein wenig müde vom Bier und sehr entspannt. Dieses tolle Gefühl des endlosen Sommerurlaubs erfasst hier auch Erwachsene wieder. Legen Sie das Telefon auf und sagen Sie es niemandem.
Strandbad Obing, Seestraße 40, Obing. Geöffnet von 9 bis 22 Uhr.