Hannover. Ursula Junker stellt Kuchen auf den Tisch und serviert Kaffee. Sie goss die Milch für den Kaffee in eine Tasse. „Der Krug ist noch da“, sagt sie. Das Milchkännchen war nicht so wichtig, als Ursula Junker am 5. Mai ihre Wohnung verlassen musste, als alles so schnell gehen musste und sie nur das Nötigste mitnehmen konnte. Am Vortag, an einem Mittwoch, gingen Beamte der Stadt zu den Bewohnern des Hauses in der Petit-Couronne-Straße 19 in Ahlem und informierten sie darüber, dass ihr Haus wegen unsicherer Asphalttunnel unter Tage einzustürzen droht. Sie mussten sofort gehen, sie hatten nur bis Mittag des nächsten Tages Zeit.
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Es ist ein Vierteljahr her. Und Ursula Junker und ihre Nachbarn sind jetzt ein bisschen sauer. Denn sie leben immer noch in Notunterkünften. Weil, wie sie sagen, niemand Ihre Fragen beantwortet. Weil sie Kosten haben, die ihnen niemand erstattet hat.
Zweimal evakuiert
Ursula Junker lebt seit fast 21 Jahren in der Petit-Couronne-Strasse 19, arbeitet als Kindermädchen und kümmert sich täglich um fünf Kinder. Heute sind es noch vier: Die Ausweichwohnung, die ihr die Vermieterin gegeben hat, ist kleiner, das bedeutet weniger Kinder und damit weniger Einkommen. „Wir sind alle in viel kleinere Wohnungen gezogen“, sagt Günther Brandes, ein Nachbar von Ursula Junker, der ein besonderes Schicksal hatte: Als alle Nummer 19 verlassen mussten, fand er nebenan in Nummer 17 einen Unterschlupf. Dann wurde auch Nummer 17 freigegeben . Jetzt lebt er in Davenstedt, möchte aber zurück nach Ahlem.
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In der Petit-Couronne-Straße 19 wohnte auch eine ältere Dame, die dauerhaft umgezogen ist – sie ist in den 90ern und will sich nicht noch einmal den Umzugsstress antun, wenn die Tunnel voll sind. Am Tisch von Ursula Junker sitzen die anderen, Ursula Junker und Günther Brandes, sowie Juliane Sense und André Staben (ein junges Paar, das erst vor anderthalb Jahren in die Wohnung im Haus über dem Tunnel gezogen ist) und erzählen Geschichten . Alles ist da, Teller, Tassen, Möbel, Ursula Junkers Wohnung sieht liebevoll eingerichtet aus – und doch hat der Ort etwas Unfertiges, das nicht anders sein kann: Sie ist hier nicht zu Hause.
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“Von den Ordnungsbehörden geschlossen”: Gemeindesiegel auf dem Haus in der Rue Petit-Couronne 19.
© Quelle: Tim Schaarschmidt
Günther Brandes sagt: „Ich lebe noch teilweise außerhalb der Boxen.“ Und Juliane Sense und André Staben haben viel in ihre erste gemeinsame Wohnung investiert, schöne Küche, neue Möbel. Also mussten sie ins Hotel, weil die Ersatzwohnung zunächst nicht bewohnbar war, sie hatten nur ein paar Sachen in der Garage verstaut, sie kamen nicht einmal aus dem Bett.
Etwa die Hälfte des Hab und Guts der Mieter befindet sich noch in den Wohnungen des einsturzgefährdeten Gebäudes. Mieter beklagen, dass sie nur wenige Stunden Zeit hatten, um das Wichtigste rauszuholen, sie fanden es nicht sehr schön, dass die Stadt ihnen gesagt hatte, sie müssten ins Asylbewerberheim oder in eine Sporthalle ziehen, wenn sie Ersatz finden Wohnungen (zufällig frei) bei seiner Vermieterin wollte nicht. „Eine verwirrte Stadt sagte: Oder unter der Brücke“, knurrt André Staben.
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Neue Haushalts- und Küchenartikel gekauft
Sie waren auch unzufrieden mit den Veränderungen, die die Stadt bereitstellte, ungeschulte ABM-Arbeiter und Tiefbaupersonal mit Tiefbaufahrzeugen, ohne Kisten, ohne Schubkarren oder Karren, und sie wollten nur Dinge tragen, keine Möbel zerlegen und wieder zusammenbauen. .
Ursula Junker sagt, sie musste sich neuen Hausrat und eine Küche anschaffen, anderen ging es ähnlich. Erstattung? Die Baubehörde sagte, sie sollten eine Kostenaufstellung einreichen. Das hätten sie getan, aber dann hörten sie nichts anderes. “Ich bin immer noch fett in der Stimmung von all dem Scheiß”, sagt Staben. Ursula Junker ergänzt: „Vorher hatte ich keine Schulden. Ich habe jetzt welche.“ Aus Kosten- und Unsicherheitsgründen hatte Staben einen Fragenkatalog an die Hausverwaltung geschickt. Es gab auch ein Vorstellungsgespräch. Aber es wurde kurz vorher abgesagt und danach nicht verlängert. Alle machen sich Sorgen um ihr Hab und Gut und was passiert, wenn die alten Wohnungen nicht gelüftet und beheizt werden. Ursula Junker: „Also alles verschimmelt.“
Stadt: Immer noch in Lebensgefahr
Und die vier zweifeln, ob damals, im Mai, wirklich Gefahr im Verzug war. Die Stadt misst jede Woche, ob sich im Bereich des Ahlemer Tunnels unter Tage und an der Oberfläche etwas tut. “Wir haben nichts gehört.”
Es stimmt sogar: Die Stadtverwaltung bestätigte durch Sprecherin Michaela Steigerwald, dass es an der Petit-Couronne-Straße keine Auffälligkeiten gegeben habe. „Trotzdem droht jederzeit eine Kernschmelze – und damit Lebensgefahr für die Menschen, die sich in den Häusern aufhalten“, sagt sie. Alle weiteren Ansprüche der Mieter weist die Sprecherin zurückhaltend, aber entschieden zurück.
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Es gibt auch keinen Zugang durch die Kellertür: Stadtsiegel.
© Quelle: Tim Schaarschmidt
Die Landeshauptstadt sei sich der schwierigen Situation bewusst, in der sich die Betroffenen befänden, erklärt er. Die Verwaltung versuchte, die Situation zu entschärfen. Es sei aber auch anzumerken, dass die Stadt, obwohl rechtlich nicht verantwortlich für die Krisensituation, sofort Sicherheitsmaßnahmen ergriff, Evakuierungen vorsah und mit der Reinigung der Tunnel begann – „auf weniger bürokratische Weise und über das rechtlich Notwendige hinaus“. Dazu gehörten zum Beispiel Stadtbeamte, die teilweise von Baustellen abgezogen wurden, um die Bewegungen zu unterstützen. Dies sei ein „freiwilliges und spontanes Angebot“ der Stadt gewesen, sagt Michaela Steigerwald.
Die Sprecherin behauptet, dass von Mietern benötigte Artikel in Einzelfällen bereits bezahlt worden seien – obwohl nicht die Stadt, sondern die Hauseigentümer für den Zustand der Wohnungen verantwortlich seien, die der damalige Landkreis Hannover in den sechziger Jahren trotz Kenntnis habe Tunnel, „ohne zusätzliche Maßnahmen“. Wenn es um Zuschüsse oder Entschädigungen gehe, berate die Regierung noch, sagt Michaela Steigerwald. Es werde geprüft, „ob weitere Hilfe benötigt wird. Die Verwaltung wird Sie umgehend über das Testergebnis informieren.“ Daher haben die Mieter noch keine Informationen erhalten.
Zur aktuellen Situation gebe es leider keine Alternative, erklärt die Sprecherin. Die Stadt bittet um Verständnis und unterstützt die Maßnahmen weiterhin.
Wütende Mieter erwägen rechtliche Schritte gegen die Stadt, sie wollen ihre Auslagen erstattet und eine Entschädigung für ihre psychische Belastung: „Ich habe seit Tagen nicht geschlafen“, sagt Ursula Junker. “Wir haben unser Zuhause verloren.”
Die Geschichte der Evakuierung in Ahlem
Im 19. Jahrhundert wurde im heutigen hannoverschen Stadtteil Ahlem asphalthaltiges Gestein entdeckt und später abgebaut. Im Laufe der Jahre entstand ein großes unterirdisches Tunnelsystem, das vor 100 Jahren geschlossen wurde. Diese Tunnel waren jedoch nicht geschützt – ein Problem, das bekannt war, aber von den Behörden ignoriert wurde. Im April wurde festgestellt, dass in einigen Gebieten akute Gefahr eines sogenannten Erdrutsches, also eines Einsturzes, bestand. Häuser wurden evakuiert, Straßen gesperrt und Tunnel zugeschüttet. Stadt, Region Hannover und Land Niedersachsen haben noch nicht entschieden, wer die Kosten von rund 30 Millionen Euro trägt.