Seit Freitag sind der Truppe die Hände gebunden: Ohne Überflugrechte kann die Bundeswehr nicht in Mali operieren – sie kann keine Drohnen zur Aufklärung einsetzen und sie kann keine Verwundeten transportieren. Warum behindert die malische Regierung die deutsche Mission, wenn sie hilft, die Dschihadisten zu bekämpfen? Was diese Mission so schwierig und gleichzeitig so wichtig macht, erklärt Afrika-Experte Ulf Laessing, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako vor Ort ist.
ntv.de: In Mali hat es in den vergangenen Wochen vermehrt Anschläge des IS gegeben. Nun musste auch die Bundeswehr ihre Aktivitäten einstellen. Wie ist die Situation in Bamako?
Ulf Laessing: Die Lage hier ist im Moment nicht sehr unsicher, aber viele, vor allem Diplomaten, befürchten, dass die Islamisten auch hier bald den Erstschlag durchführen könnten. Ich sehe diese Gefahr immer noch nicht, aber es ist bereits sichtbar, dass die Terroristen von Norden her auf die Hauptstadt zusteuern. Sie wollen den Kampf hierher bringen, damit die Regierung gezwungen wird, mehr Soldaten nach Bamako zu schicken.

Ulf Laessing berichtet seit vielen Jahren als Korrespondent aus Afrika und verantwortet heute das Sahel-Programm der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Malis Hauptstadt Bamako.
(Foto: KAS)
Mali erhält derweil zunehmenden Schutz von russischer Seite, Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe sollen sich im Land aufhalten. Ein Problem für westliche Truppen?
Im Januar begannen die Russen hier in Mali zu expandieren, bald traten die ersten Einschränkungen in Kraft, weil sie weder von UN-Truppen noch von der Bundeswehr aufgeklärt werden wollen. Zuvor hatten deutsche Truppen vom Regime eine Blanko-Überfluggenehmigung erhalten, die einen Monat gültig war. Jeder Flug muss nun genehmigt werden. Seit der Ankunft der Russen agiert Mali viel selbstbewusster.
Letzte Woche gab es keine Genehmigung.
Die Bundeswehr hat ihre Aufklärung eingestellt und führt keine Rettungsflüge mehr durch. Dass bis zur Klärung der Überflugrechte alles stillsteht, wird sicherlich auch die Malier treffen. Letzte Woche wurden 22 Verwundete einer malischen Garnison gerettet, die vom Islamischen Staat angegriffen worden war. 24 Menschen wurden getötet, die 22 Verwundeten wurden von der Bundeswehr in einer waghalsigen Aktion mit Hubschraubern evakuiert. Die Malier werden spüren, dass sie die Bundeswehr wirklich brauchen.
Die Franzosen waren auch wichtig für die Sicherheitslage. Der letzte Soldat hat gestern das Land verlassen. Wie funktioniert es?
Ich vermute, dass die Containerstadt der französischen Truppen jetzt von den Russen besetzt wird, weil sie bisher alle Lager übernommen haben, die die Franzosen verlassen haben. Als Symbol hat es natürlich eine sehr starke Wirkung. Sie müssen sich den Flughafen auch mit den Russen teilen, ehemals UN-Truppen, die deutsche Wehrmacht und die Franzosen haben ihn gemeinsam geschützt. Sie können die Suche hier fortsetzen, aber es wird viel unangenehmer.
Wie viel verlieren die Franzosen konkret?
Die eigentliche Herausforderung beginnt mit ihrem Rückzug, denn die Bundeswehr setzt bisher stark auf die Franzosen, deren Truppen es auch schaffen, die Dschihadisten in Schach zu halten. Dass es zuletzt vermehrt Anschläge gegeben hat, liegt auch daran, dass die französische Armee ohnehin weniger präsent ist. Die Beziehungen zwischen Mali und Frankreich verschlechterten sich enorm, aber auch die Franzosen selbst trugen dazu bei.
In welcher Form?
Sie sind in ihren ehemaligen Kolonien immer ziemlich dominant. Mali wollte sich davon lösen und seine Abhängigkeit auf mehrere Staaten verteilen – daher der Aufruf Russlands zur Unterstützung. Die Franzosen haben das nicht akzeptiert, weshalb sie Anfang des Jahres zum öffentlichen Sündenbock wurden, verantwortlich für alles, was nicht funktioniert. Jetzt sind die Franzosen weg, jetzt braucht das Regime einen neuen Feind.
„Wir können nicht an der Seite der Machthaber militärisch engagiert bleiben, deren verborgene Strategie und Ziele wir nicht billigen“, sagte der französische Präsident Macron. Kann Deutschland dagegen? Und sollte?
Macron war in der Tat Teil des Problems, muss man sagen. Mit solchen Äußerungen brachte er die Malier auf die Seite der Russen. Die ständigen verbalen Attacken im Wahlkampf machten die malische Regierung fast paranoid. Und Frankreich arbeitet auch mit den Militärregierungen in Burkina Faso und im Tschad zusammen.
Wenn das Regime jetzt einen neuen Feind braucht: Werden wir Zeuge, wie Deutschland dafür auserwählt wird?
Die gesamte UN-Minusma-Mission ist am besten geeignet. Sie will den vom IS bedrohten, aber von der Bevölkerung oft als ineffizient empfundenen Norden des Landes stabilisieren. Dieses Narrativ, dass die Mission nichts bewirkt habe, wird von Unterstützern der Regierung gefördert. Es war der Staat Mali, der gescheitert ist. Er machte sich nicht die Mühe, die Staatsmacht in den von den Franzosen befreiten Gebieten wieder aufzubauen, um den Menschen eine Alternative zu bieten.
Wenn wir noch einmal auf die waghalsige Rettungsaktion der 22 verletzten Malier zurückkommen: Ist der Erfolg der Bundeswehr in der Öffentlichkeit bekannt?
Nein, und das finde ich schade. Die Bundeswehr hat dies nicht veröffentlicht, vermutlich auf Druck der Regierung, die offensichtlich nicht will, dass die Öffentlichkeit von solchen Aktionen erfährt. Deutschland zeigt großen Respekt vor dem Regime, aber ich denke, solche Erfolge sollten aggressiver behandelt werden.
Die Bundeswehr wird laut Verteidigungsministerin Lambrecht vorerst damit beschäftigt sein, sich selbst zu schützen. Wird die Mission dann nutzlos?
Auch im logistischen Bereich – Versorgung mit Lebensmitteln und Strom – sind UN-Truppen aktiv, aber die Versorgung der Verwundeten durch die Deutschen war ein ganz zentrales Element. Helikopter sollten überall auf Minusma aktiv sein, auch deutsche Drohnenlagebilder spielten eine wichtige Rolle. Dass die Bundeswehr sich jetzt nur noch um ihre eigene Sicherheit kümmert, lähmt die gesamte UN-Mission regelrecht. Ohne Lagebild und dem Wissen, dass die Bundeswehr sie im Ernstfall nicht retten kann, werden UN-Soldaten kaum auf Patrouille gehen. Die Truppe ist im Moment praktisch blind und dürfte kaum aktiv werden.
In der Berliner Politik wird darüber debattiert, ob der Einsatz in Mali fortgesetzt werden soll. Wofür stehst du?
Natürlich wird der Einsatz durch die Russen deutlich erschwert. Andererseits sollte man sich fragen: Wollen wir jedes Mal rausgehen, wenn die Russen irgendwo auftauchen? Genau das ist ihre Strategie, hier mit 1.000 Leuten präsent zu sein und die westlichen Länder zum Rückzug zu bewegen. Ich kann die Frage nicht eindeutig beantworten. Aber auf keinen Fall sollten Sie abrupt aufgeben, ohne noch einmal versucht zu haben, mit dem Regime zu sprechen. Denn es ist in unserem Interesse, die Bedrohung durch die Dschihadisten einzudämmen. Was hier passiert, betrifft uns direkt, die Region ist unsere Südflanke.
Frauke Niemeyer sprach mit Ulf Lässing