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Das 110 Meter lange Flusskreuzfahrtschiff liegt in Hanau – „mindestens bis Dienstag“, sagt Hanauer Hafenchef Gerhard Einhoff.
Hanau – Eigentlich soll das moderne Kreuzfahrtschiff mit drei Restaurants und Platz für 170 Passagiere den Rhein ansteuern. Aber es ist nicht möglich. Die Wasserstände dort sind wegen der anhaltenden Dürre sehr niedrig. Die „Nicko Spirit“ hat einen Tiefgang von 1,70 Meter. Auf Höhe des Kauber Rheins ist die Fahrrinne, Stand Mittwoch, nur noch 1,48 Meter tief. „Kaub ist das Nadelöhr“, sagt Einhoff.
Schaut man auf das Hanauer Hafenbecken, sieht man an der Verfärbung der Piermauer, dass der Wasserstand auch hier unter dem Normalwert liegt: 40 Zentimeter. Statt 200.000 Kubikmeter Wasser in dem 950 Meter langen Becken stehen derzeit 25.000 Kubikmeter weniger. Dass das Main-Fahrwasser bei Hanau zudem 40 bis 50 Zentimeter weniger Wasser führt als die üblichen vier Meter, ist vergleichsweise Peanut. Der Main, der allein zwischen Hanau und Mainz mit fünf Dämmen reguliert wird, ist nicht das Problem. Wegen des Niedrigwassers im Rhein ist der Flussverkehr im ganzen Land unterbrochen. Das betrifft aber auch den Hanauer Hafen.
Niedrigwasser auf dem Rhein: Schiffsladung in Hanau sinkt von 1.800 auf 650 Tonnen
Im fast 100 Jahre alten Hafen der Brüder-Grimm-Stadt werden jährlich 1.100 Frachtschiffe be- und gelöscht und 2,6 bis 2,8 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Das meiste davon sind Öl, Kali, Sand und Getreide. Aufgrund des Niedrigwassers auf dem Rhein können beispielsweise Frachtschiffe oder Schubverbände in Richtung Amsterdam oder Rotterdam nicht voll beladen werden. „Im Januar haben die Schiffe in Hanau durchschnittlich 1.800 Tonnen transportiert“, erklärt Einhoff, „im August sind es nur noch 650 Tonnen pro Schiff“. „Leichter“ sagen Experten, wenn die Tragfähigkeit eines Schiffes reduziert wird, und auch der Laie versteht, was das bedeutet.
Vom gesamten Warenverkehr im Hanauer Hafen, der auch über Gleisanschlüsse und zehn Kilometer eigene Gleise verfügt, werden in der Regel zwei Drittel per Binnenschiff und ein Drittel per Bahn abgewickelt. “Im Moment ist es 50:50”, sagt Einhoff.

Hafen Hanau: Getreide für 1,65 Milliarden Brötchen
Ein Beispiel: Die Kaliwerke in Thüringen, die die Kalisalze normalerweise per Bahn nach Hanau transportieren und hier auf Schiffe umladen, „liefern nicht, wenn keine Schiffe fahren“, sagt Einhoff. Sie müssen auf die Straße ausweichen. Abgesehen davon, dass Lkw schwer zu finden sind, hat dies auch Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Einhoff: „Eine 2.000-Tonnen-Ladung auf dem Schiff ersetzt mindestens 80 Lkw.“
Ein weiteres Beispiel: Im Hanauer Hafen steht ein riesiges Raiffeisen-Getreidelager. Insgesamt fassen die Silos 82.000 Tonnen, „1,65 Milliarden Brötchen könnte man damit backen“, rechnete Gerhard Einhoff vor. Auch der Getreidetransport wird wegen Niedrigwasser auf die Schiene verlagert – eine logistische Herausforderung und ein Preistreiber, weil Kapazitäten knapp sind.
Drittes Beispiel: Ein Schubverband, der Müllschlacke transportieren sollte, traf gestern im Hanauer Hafen ein. Die Schlacke, die in den Müllverbrennungsanlagen in Heusenstamm oder Frankfurt anfällt, muss von Hanau in die Niederlande transportiert werden. Da der Rhein fast kein Wasser führt, können nur 1.200 Tonnen Schlacke transportiert werden. Normalerweise sind es 4000 Tonnen.
Niedrigwasser am Rhein: Die Industrieproduktion ging 2018 um 1,5 % zurück
Die Reihe der Auswirkungen, die die Ebbe auf den Warenverkehr hat, könnte sich fortsetzen. „Konsumgüter beispielsweise stecken auch woanders fest“, erklärt Einhoff. Und beim Transport von Öl und Benzin müssen die Tonnagen ebenfalls reduziert werden, damit der Frachter auch Niedrigwasserpässe passieren kann. Oiltanking, die einen großen Standort im Hanauer Hafen betreibt, beliefert laut Einhoff Tankstellen und Heizölkäufer im Umkreis von 200 Kilometern. Auch hier verursachen steigende Transportkosten das Problem.
Die wirtschaftlichen Folgen langer Niedrigwasserperioden zeigten sich 2018, als die Schifffahrt auf dem Rhein lange Zeit behindert war. Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft ging die Industrieproduktion damals um 1,5 % zurück. Experten befürchten, dass das Wachstum dieses Mal noch geringer ausfallen könnte als bisher befürchtet, wenn die Wasserstände weiter sinken. Und der Energiesektor, der durch den Krieg in der Ukraine unter Druck geraten ist, könnte noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden. Wie berichtet, gefährdet das Niedrigwasser des Rheins unter anderem die Kohleversorgung des Kraftwerks Staudinger in Großkrotzenburg.

Niedrigwasser am Rhein als Kostenfaktor
Auch der geringere Güterumschlag im Hanauer Hafen kann die Einnahmen der städtischen Hafengesellschaft schmälern. In den vergangenen Jahren hat der Hafen immerhin einen Gewinn von 750.000 bis 800.000 Euro an die kommunale Beteiligungsgesellschaft abgeführt. (Christliche Spindel)