Global Challenges ist eine Marke von DvH Medien. Ziel des neuen Instituts ist es, die Diskussion geopolitischer Fragen durch Publikationen anerkannter Experten voranzutreiben. Heute ein Beitrag von Prof. DR. Volker Wieland, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Währungs- und Finanzstabilität der Goethe-Universität
in Frankfurt aM.
Weitere Autoren sind Sigmar Gabriel, Prof. DR. Veronika Grimm Günther H. Oettinger, Prof. DR. Ann-Kristin AchleitnerProf. Jörg Rocholl PhD, Prof. DR. Bert Ruerup. Prof.. DR. Renate Schubert und Jürgen Trittin.
Inflation, Krieg, Energiekrise und Rezession: Zwischen der aktuellen Weltlage und der Stagflation der 1970er-Jahre bestehen frappierende Parallelen: Damals folgten geopolitische Konflikte wie der Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel im Oktober 1973 das Embargo von Öl aus den arabischen Ländern der OPEC an Israels westliche Verbündete. Heute ist der Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine, die Sanktionen gegen Russland und die drastisch reduzierte Gasversorgung Moskaus.
Gleichzeitig weigern sich die OPEC-Staaten, ihre Ölförderung deutlich auszuweiten. Damals wie heute wirkten der Krieg und die Energiekrise als Katalysatoren für die Inflation, die natürlich früher eingesetzt hatte. Im April 1973, gut fünf Monate vor dem Jom-Kippur-Krieg, lag die Inflation in den USA bereits bei 5,3 % und in Deutschland sogar bei 6,3 %. Im September 2021, gut fünf Monate vor dem Krieg in der Ukraine, lag die Inflation in den USA bei 5,4 % und in Deutschland bei 4,1 %.
Vorübergehend oder dauerhaft?
Während der Pandemie stützten Staaten und Zentralbanken die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stark mit Transfers, Krediten, Anleihekäufen und niedrigen Zinsen, während die Produktion und das Angebot an Waren und Dienstleistungen einbrachen. Dank großzügiger Unterstützung sind die Einkommen der US-Haushalte über das Vor-Corona-Niveau gestiegen.
Auch in Europa schnürten die Regierungen umfangreiche Kredit- und Unterstützungspakete ab 2020. Die Europäische Zentralbank (EZB) begleitete das Wachstum der Staatsverschuldung mit noch größeren Ankäufen von Staatsanleihen. Kein Wunder, dass die Preise stiegen, als sich die Wirtschaft erholte. Die Grundlage für die Inflation war also bereits geschaffen und stieg 2021 rasant an. Das Ende des Krieges in der Ukraine und ein Rückgang der Energiepreise werden nicht ausreichen, um die Inflationsrate auf etwa 2 % zu drücken.
Glücklicherweise wird die Inflation mittlerweile ernst genommen und nicht mehr als „vorübergehend“ bagatellisiert, könnte man einwenden. Obwohl US-Präsident Joe Biden mit dem „Reduction of Inflation Act“ Preiserhöhungen den Kampf angesagt hat, schätzt das unabhängige Congressional Budget Office, dass das Gesetz die Inflation weder reduzieren noch anheizen wird. Präsident Richard Nixon hingegen agierte in den frühen 1970er Jahren deutlich unglücklicher – zunächst mit unwirksamen direkten Lohn- und Preiskontrollen, dann brach er in den 1970er Jahren das Bretton-Woods-Tauschsystem, das die inflationäre Entwicklung der späten 1970er Jahre ermöglichte. erster Platz.
Entscheidend ist derzeit jedoch die Geldpolitik der US-Notenbank. Seit Mitte März hat er die Federal Funds Rate um 2,4 Prozentpunkte auf aktuell 2,25 % auf 2,5 % angehoben. Für September wird ein Anstieg um weitere 75 Basispunkte erwartet. Fed-Chef Jerome Powell sagt, er erwarte keine Rezession, aber das könnte sich ändern. Natürlich nimmt die US-Notenbank die Inflationsbekämpfung jetzt ernst – letztlich dürfte sie dabei eine leichte Rezession in Kauf nehmen. Die Fed reagierte sehr spät, aber konsequent.
Gegner Milton Friedman
Powell verhält sich nicht wie Arthur Burns, sein Vorgänger. Burns war bereits 1970 der Meinung, dass in dieser „vorübergehenden Zeit“ der Kosteninflation eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik zur Inflationsbekämpfung vermieden werden sollte, um keine schwere Rezession zu riskieren. Stattdessen empfahl er Nixon direkte Lohn- und Preiskontrollen. Burns’ akademischer Gegenspieler Milton Friedman argumentierte dagegen zu Recht, dass die Inflation ohne eine vorübergehende Verlangsamung des Wirtschaftswachstums kaum eingedämmt werden könne und dass die Geldpolitik das richtige Instrument sei, um Preisstabilität zu gewährleisten. Friedman argumentierte, dass Unternehmen Kosten in Form höherer Preise weitergeben könnten, insbesondere wenn die Zentralbank die Gesamtnachfrage mit billiger Liquidität stützt.
Interessanterweise folgte die Deutsche Bundesbank den Empfehlungen von Friedman. Sie legte ein Inflationsziel von 2 % fest und verfolgte eine pragmatische Strategie, um das Wachstum der Geldmenge zu begrenzen. Damit sorgte sie für einen raschen Anstieg der Geldmarktzinsen und ließ auch die D-Mark deutlich aufwerten. Der Dreimonatszinssatz in Deutschland stieg 1973 um über 14 % und blieb bis Mitte 1974 im zweistelligen Bereich, die Inflationsrate erreichte Ende 1973 mit knapp 8 % ihren Höchststand und ging dann zurück. Bis zur Zwei vor dem Komma dauerte es noch fast fünf Jahre, aber unter den G-7-Staaten war Deutschland das einzige Land, das zweistellige Inflationsraten vermeiden konnte.
Obwohl Burns 1974 eine Erhöhung des Federal Funds Rate auf 12 % zuließ, setzte er ab Herbst 1974 auf rasche Zinssenkungen, obwohl die Inflation zunächst bei 12 % blieb. Da die Kapazitäten der Wirtschaft nicht ausgelastet seien, werde der Druck auf die Preise ohnehin nachlassen, so Burns. Obwohl die Inflationsrate 1976 kurzzeitig auf fünf Prozent sank, stieg sie stetig an und überschritt wieder deutlich die Zehn-Prozent-Marke von 1979. Powell will nicht den gleichen Fehler machen wie Burns, aber dafür braucht er einen langen Atem.
In der Eurozone dagegen gibt es keinen Eindruck, dass sich die EZB an Friedman und den Erfahrungen der Bundesbank orientieren würde. Die EZB hat gerade den Einlagensatz von minus 0,5 % auf null Prozent angehoben. Es gab bereits eine Dringlichkeitssitzung, aber es ging um Zinsspreads für hochverschuldete Länder, nicht um Inflation.
Priorität Preisstabilität
Zwar beteuern EZB-Vertreter immer wieder, Preisstabilität habe Vorrang. Aber den Worten folgten nicht genug Taten. Man ist versucht, die EZB zu warnen, bitte nicht unsere Zeit zu verschwenden. Und was sollten Regierungen tun? Treibstoffrabatte und andere Interventionen zur Dämpfung steigender Energiekosten können die Inflation kurzfristig etwas dämpfen. Aber durch die Unterstützung der Haushaltsnachfrage werden diese Maßnahmen die Inflation bald wieder anheizen. Besser wäre es, hohe Energiepreise zu greifen, Einsparpotenziale auszuschöpfen – und sich so schnellstmöglich vom Kriegstreiber Russland unabhängig zu machen.
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Nach dem Ölembargo von 1973 bauten die USA ihre eigene Öl- und Gasförderung insbesondere mit Fracking-Verfahren aus. Sie wurden damit zu einem Nettoexporteur von Gas. Heute erwartet Deutschland auch mit amerikanischem und kanadischem Flüssiggas zu überwintern. In Norddeutschland gibt es Erdgasvorkommen, die ein Vielfaches der russischen Importe ausmachen. Allerdings: Exploration und Produktion müssten erst genehmigt werden. Wenn Deutschland deswegen ein sehr schlechtes Gewissen hat, sollten wir uns nicht wundern, wenn die Solidaritätsbekundungen unserer Gas-Verbündeten zum Schweigen gebracht werden.