München – AZ-Interview mit Ingo Schultz: Der heute 47-jährige Leichtathlet wurde bei den Weltmeisterschaften 2001 in Edmonton Zweiter über 400 Meter und gewann im Jahr darauf die Goldmedaille bei der Europameisterschaft in München. 2008 beendete er nach vielen Rückschlägen seine Karriere.
AZ: Hr. Herr Schultz, wann waren Sie das letzte Mal auf der Stadionstrecke?
INGO SCHULTZ: Das war 2019, also vor Corona, in der deutschen Seniorenmeisterschaft. Mein Team und ich haben den Titel über 4 x 400 Meter gewonnen. Ich lief die 400 irgendwo zwischen 54 und 55 Sekunden. Seitdem ist der Wurm drin, ich hatte einen Meniskusriss, das Training während der Pandemie war nicht so einfach. Jetzt würde ich gerne wieder angreifen, ich werde auf jeden Fall unter 60 Sekunden kommen.
„München 2002 war der Höhepunkt meiner Karriere“
Vor 20 Jahren liefen Sie bei Ihrem EM-Triumph in München 45,14 Sekunden. Hat Ihnen der EM-Titel mehr bedeutet als Silber bei der Weltmeisterschaft in Edmonton ein Jahr zuvor?
Unbedingt. München 2002 war der Höhepunkt meiner Karriere. Die ganze Atmosphäre war bombastisch, die Atmosphäre mit dem Dach des Olympiazeltes, überall wurde ich angesprochen und ich durfte Autogramme geben. Eine Woche lang ein Volksheld zu sein, war großartig. Aber ich dachte auch an strenge Sicherheitsmaßnahmen – 30 Jahre nach dem olympischen Anschlag von 1972 und fast ein Jahr nach dem 11. September war dies ein sehr sensibles Thema. In meinem Haus im Sportlerdorf fuhr der Fahrstuhl immer über eine Etage. Dies war die Etage, in der die israelische Delegation wohnte. Sie könnten wahrscheinlich einfach mit einem speziellen Schlüssel dort aufhören. Es war auch irgendwie beängstigend.
Du hast spät angefangen, bist erst mit 22 zur Leichtathletik gekommen, davor warst du hauptsächlich im Schach und Geige aktiv. Packen Sie manchmal noch die Geige aus?
Einmal vor ein paar Jahren. Mir ist aber aufgefallen, dass der Weg sehr weit ist, man muss viel üben um wieder anständige Sounds zu bekommen.
dein lieblingsstück? Mozart Violinkonzert Nummer 3?
Recht. Nach Silber in Edmonton wurde ich buchstäblich damit überfallen. Ich gab an diesem Abend ein Interview in der ARD, als Gerhard Delling plötzlich mit einer Geige dastand und mich aufforderte, bitte zu spielen. Ich war nach dem langen Tag voller Emotionen völlig erschöpft und habe wenig erreicht. Es war eine Art schmutziges Spiel.
Haben Sie einmal gesagt, dass Sie Wochen vor der EM alleine durchs Stadion gelaufen sind und die Jubelpose beim Zieleinlauf geübt haben?
Ernsthaft? Ich kann mich nicht erinnern. Aber lassen Sie mich die Anekdote erwähnen, die ich in einem Interview vor der EM scherzhaft erwähnt habe, dass ich Krafttraining machen würde, um die Last auf meinen Schultern zu tragen. Dann tauchte es im Stadionheft auf – meinte es aber ernst. Und natürlich weiß ich noch genau, wie mich die 50.000 Zuschauer im Stadion vorangetrieben haben, wie ich aus dieser wahnsinnigen Atmosphäre die nötige Energie geschöpft habe, um am Ende vorne zu stehen. Die Öffentlichkeit war der nötige Wind, um das durchzustehen.
Narzissmus bei Leistungssportlern: Sehr gesunder Egoismus
Sie haben eine tolle Show hingelegt und dann erklärt, dass man als Leistungssportler auch viel Narzissmus haben muss.
Narzissmus hat immer so eine negative Konnotation. Tatsächlich brauchen Sie Egoismus, gesunden Egoismus. Natürlich machst du es für die Show, für die Show, natürlich willst du dich, deine Leistung und deinen Körper im Wettkampf der Öffentlichkeit zeigen. Das könnte der Narzisst sein, der geht.
Nach München hattest du nicht viele Möglichkeiten für triumphale Platzierungen.
Das ist leider wahr. 2003 erkrankte ich während der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften in Paris am Drüsenfieber. Ein halbes Jahr war ich total deprimiert, kein Immunsystem, alle Viren, die herumflogen, gehörten mir. Wenn ich eine Viertelstunde laufen würde, war ich völlig platt. Ich war auch mental in einem tiefen Loch, die Auswirkungen zogen sich lange hin. Heute würde man sagen, es war der Lange Pfeiffer. 2004 stellte ich meine Ernährung um und machte einen mentalen Neustart. Aber die großen Hits kamen nie.
Als Sie es 2008 nicht zu Olympia geschafft haben, haben Sie Ihre Karriere beendet. Hatten Sie jemals Entzugserscheinungen?
Niemals. Ich habe mich sofort in meinen neuen Job als Ingenieur gestürzt und war voll ausgelastet. Es war ein radikaler, aber wichtiger Schritt. Ich verbrachte Monate ohne Sport, auch weil mir die Motivation fehlte. Ich war nur motiviert, weil ich für Wettkämpfe trainiert habe. Aber wer nicht antritt, hat keine Lust zu trainieren.
Ingo Schultz ist jetzt Geschäftsführer von Avacon Natur
Sie haben eine erfolgreiche berufliche Laufbahn hinter sich und sind nun Geschäftsführer von Avacon Natur. Können Sie das Firmenprofil beschreiben?
Die Avacon-Gruppe ist eines der größten regionalen Energieversorgungsunternehmen in Deutschland. Als Netzbetreiber versorgen wir die Menschen an der Nordseeküste südlich von Hessen von der holländischen Grenze bis nach Sachsen-Anhalt mit Energie. Avacon Natur ist eine Tochtergesellschaft, die sich zu 100 % in den Bereichen Wärme, Kälte und Stromerzeugung, einschließlich Wind- und Photovoltaikenergie, engagiert.
Du bist also gerade beschäftigt.
Unbedingt. Es sind sehr turbulente Zeiten, verbunden mit vielen Veränderungen und Sorgen. Der Trend weg von Erdgas als Träger fossiler Energie wird sich unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der daraus resultierenden Energiepreisentwicklung weiter beschleunigen. Unser Ziel, alle unsere Systeme bis 2030 zu dekarbonisieren, ist noch wichtiger, da wir von fossilen zu erneuerbaren Energien übergehen. Dass wir mehr Erdwärme oder Kanalwärme nutzen oder Solarthermieanlagen bauen. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
Auch Ingo Schultz sagt einen strengen Winter voraus
Was sagen Sie als Experte, wie wird der Winter?
Ich glaube, dass wir die Energieeinsparziele der EU erreichen werden. Allerdings müssen wir uns darauf einstellen, dass es schwierig wird.
Welche Krise beschäftigt Sie derzeit am meisten, in der Energieversorgung oder im deutschen Leichtathletik?
Auf in die Energiekrise. Das ist viel existenzieller für unsere Gesellschaft als Ganzes. Dennoch macht mir die Krise in der Leichtathletik auch Sorgen. Auch der Sport ist ein wichtiger Teil der Vielfalt, die unser Leben prägt. Nicht so entscheidend wie das Energiethema, aber es ist sehr wichtig, dass Kinder und Jugendliche Vorbilder haben, auch im Sport. Es ist schwer zu sagen, warum es nicht funktioniert, aber es liegt wahrscheinlich an großen strukturellen Problemen. Umso wichtiger ist es, dass in München der Knoten platzt, dass das Publikum die tollen Erfolge der deutschen Mannschaft bejubelt. Wir brauchen wieder mehr Siegermentalität im deutschen Sport.
Brauchst du mehr Typen wie dich?
Ja und nein. Ich denke, dass ich bei einigen meiner Aktivitäten durchaus als Vorbild dienen kann. Andererseits muss jeder seinen eigenen Weg gehen. Für die großen Herausforderungen der Zukunft brauchen wir andere, die ganz neue Lösungen entwickeln – und in die Tat umsetzen.
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