Kultur: Wenn Jesus zum Kaffee geht: Bei den Passionsspielen in Oberammergau

Moment mal, ist das nicht Jesus? Wir frühstücken gerade im Café des Theaters, als ein dünner Mann mit langen, glatten blonden Haaren, freundlichem Gesicht und kurzem Bart hereinkommt. Er bestellt einen Kaffee an der Bar. Nein, nicht Jesus, sondern Frederik Mayet, einer der beiden Schauspieler, die Jesus in den Passionsspielen in Oberammergau gespielt haben.

Das Passionsspielhaus liegt gegenüber, 100 Meter Luftlinie entfernt. Wenig später kommt Christian Stückl, der Direktor, herein. „Machen Sie mir Rührei und Speck?“, fragt er den Kellner. Die Darsteller der Passionsspiele stärken sich vor Beginn des Nachmittags.

Das Passionstheater liegt mitten in der Stadt.

Das Passionstheater liegt mitten in der Stadt. | Bild: Schierle, Beate

Hunderte von Menschen werden auf der großen Bühne stehen, auf der alle zehn Jahre fünf Stunden lang die Geschichte von Jesu Leiden und Sterben erzählt wird. Es gibt auch einen riesigen Esel, einige Pferde, Schafe und Ziegen und einige weiße Tauben. Insgesamt sind 2.000 Menschen beteiligt, die Hälfte aus der Stadt. Spielen dürfen nur alteingesessene Oberammergauer, nur Kinder sind ausgenommen. Ihr könnt alle dabei sein.

Du denkst, du kennst die Geschichte. Eine traurige Geschichte über einen Mann, der der Menschheit einen Ausweg aus ewigem Leid und Gewalt bieten wollte und diese Idee mit seinem Leben bezahlte.

Christian Stückl modernisierte das seit langem des Antisemitismus bezichtigte Stück und machte aus Jesus einen Kämpfer für das Gute, der in seiner Herzlichkeit und Gewaltlosigkeit berührt.

Sein Gegner Judas in Oberammergau ist kein habgieriger Verräter, sondern einer, der wie Jesus eine bessere Welt ohne Despoten und Herrscher will – notfalls aber auch mit Gewalt.

Gleich geht es los: kurz vor Beginn der Show.

Gleich geht es los: kurz vor Beginn der Show. | Bild: Schierle, Beate

Um diese beiden Gegensätze geht es Christian Stückl und den Schauspielern auf der großen Bühne. Es ist erstaunlich, wenn Jesus Sätze sagt wie „Kriegsschreie erfüllen die Erde, Armut und Krankheit treffen dich und du hungerst und dürstest nach Gerechtigkeit“. Der Sohn Gottes wirkt authentisch und zugänglich, nicht angestaubt. Wie ist eine Geschichte, die 2000 Jahre alt ist, so relevant?

Die Passionsspiele sind an diesem Abend ausverkauft, im Festspielhaus mit 4.000 Plätzen sind viele deutsche, aber auch amerikanische Stimmen zu hören. Für viele treue Amerikaner ist es eine Herzensangelegenheit, einmal im Leben das Spiel in Oberammergau zu sehen.

Riesig: 4000 Menschen finden im Passionstheater Platz.

Riesig: 4000 Menschen finden im Passionstheater Platz. | Bild: Schierle, Beate

Fünf Stunden dauert die „Passion“, wie die Oberammergauer das Spiel nennen. Es ist anstrengend, auch für die Zuschauer. Zu Beginn erleben wir den freudigen Einzug Jesu in Jerusalem mit dem wunderbaren Lied „Heil Dir“ des Oberammergauer Komponisten Rochus Dedler, einem Zeitgenossen Mozarts, dann Zeuge der zynischen Machtspiele zwischen dem jüdischen Hohen Rat und dem arroganten Pilatus.

Das Stadtmuseum ist in Kostüme aus der Aufführung von 2010 gekleidet.

Das Stadtmuseum kleidet sich in die Kleider der Aufführung von 2010. | Bild: Schierle, Beate

Die Charaktere sind psychologisch modern, die Musik von Rochus Dedler (1779 – 1822) und die Musik in jüdischer Tradition von Markus Zwink bleiben im Gedächtnis. Beeindruckend ist Joseph von Arimathäa (Walter Rutz), der Jesus ebenso tapfer verteidigt, wie Jesu Gefährtin Maria Magdalena.

Auch Maria, die Mutter Jesu (Eva Reiser), ist eine Figur, die lange nachhallt. Sie lässt ihren Sohn gehen, obwohl sie von seinem schrecklichen Ende weiß. In aller Offenheit erlebt man die Folter und Kreuzigung Jesu. Wie mit brutalen Hammerschlägen Nägel in Jesu Hände und Füße getrieben werden, ist kaum zu ertragen.

Flucht der Israeliten über das Rote Meer: Beeindruckendes „lebendiges Bild“ zwischen Szenen aus den Passionsspielen.

Flucht der Israeliten über das Rote Meer: Beeindruckendes „lebendes Bild“ zwischen Passionsszenen. | Bild: Birgit Gudjonsdottir – Oberammergauer Passionsspiele

Eine Besonderheit in Oberammergau sind die „Livebilder“. Szenen aus dem Alten Testament werden in Kulissen mit lebenden Schauspielern nachgestellt, die sich während der Aufführung nicht bewegen.

Da ist Daniel in der Löwengrube, Kain und Abel oder die Flucht der Israeliten aus Ägypten durch das Rote Meer. Sie stellen die Leidensgeschichte Jesu in einen größeren Zusammenhang.

Oberammergau ist bekannt für seine prachtvoll verzierten Hausfassaden, die „Lüftlmalerei“.  Hier das Peterhaus.

Oberammergau ist bekannt für seine prachtvoll verzierten Hausfassaden, die „Lüftlmalerei“. Hier das Peterhaus. | Bild: Schierle, Beate

„Das Stück richtet sich auch an Menschen, die keine Christen sind“, sagt der Regisseur, auch wenn sich die Welt um uns herum mit Krieg, Zerstörung und Gewalt wie ein brutaler Gegensatz zu allem anfühlt, wofür Jesus stand. Als hätte die Menschheit nichts gelernt.

Aber es befreit auch die Zuschauer mit der Osterszene, in der nach der Auferstehung langsam Licht und ein wenig Hoffnung unter den Gläubigen aufsteigen.

Der Kofel ist der Hausberg von Oberammergau.

Der Kofel ist der Hausberg von Oberammergau. | Bild: Schierle, Beate

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