Gelsenkirchen.
Francesco Cecinati fand über den sozialen Arbeitsmarkt eine Stelle. Die WAZ zog nach. Über neue Perspektiven auf neue Einnahmen.
Das erkrankte Knie von Brigitte Grinda (62) ist heute an der Reihe: Sportliche Reha in einer Praxis im Zentrum von Gelsenkirchen steht auf dem Programm. Von der Hertastraße bis zum Heim am Tomachensplatz bei der Ausländerbehörde sind es nur 15 Minuten mit dem Bus, aber für die gelernte Näherin birgt die Beratung dennoch ein hohes Risiko. Sie leidet unter Narkolepsie und Katalepsie (Schlafkrankheit/Starrheit), ein Ausbruch kann fatale Folgen haben, wenn sie allein und wackelig im Rollator liegt.
Pünktlich trifft deshalb Francesco Cecinati ein, einer von rund 800 ehemaligen Langzeitarbeitslosen, die nun wieder fest im sozialen Arbeitsmarkt beschäftigt sind. Der Gelsenkirchener holt die alte Dame zu Hause ab, sie machen gemeinsam Therapie und er sorgt auch dafür, dass Brigitte Grinda sicher nach Hause kommt. Der erste richtige, vollbezahlte Job für den gelernten Zerspanungsmechaniker (Dreher) nach betriebsbedingter Kündigung bei Seppelfricke, abgelaufener befristeter Anstellung (Formdreher in Glashütte, Call-Center-Agent), Krankheit und dem bitteren Herbst in den Hartz-Jahren IV-Empfang.
Ehemalige Langzeitarbeitslose: Sie können zurück ins Leben, ins Kino, ins Restaurant
Am Ende fiel der verheiratete Cecinati „in ein schwarzes Loch“, aus dem er keinen Ausweg mehr sah und fand. Denn wer arbeitet, arbeitet mit anderen zusammen, hat einen Plan, eine Tagesstruktur und bestenfalls sogar das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu tun. Man kann auch sagen: Ich arbeite, also bin ich. Dieser Wert der Arbeit für ein menschenwürdiges Leben muss in Erinnerung bleiben, um zu verstehen, was vielen Langzeitarbeitslosen widerfährt. Sie werden apathisch, wissen nicht mehr, warum sie aufstehen sollen, fühlen sich einsam, werden oft psychisch krank und gelten erst recht als nicht vermittelbar auf dem regulären Arbeitsmarkt. In Gelsenkirchen trifft dies auf rund 70 Prozent der 33.789 Hartz-IV-Empfänger zu – eine erschreckend hohe Zahl.
Heute hat der 42-Jährige seine Freude wieder gefunden. „Ich habe das Gefühl, endlich wieder etwas wert zu sein und etwas Sinnvolles zu tun“, sagt der Gelsenkirchener. Und es klingt nicht künstlich, sondern ehrlich. Mit geförderter Arbeit verdient er rund 1.700 Euro im Monat, er arbeitet 39 Stunden in der Woche und erhält dafür den „Mindestlohn“, wie Ekard Opretzka (Arbeitsförderungsagentur/Gafög) bestätigt (siehe Infokasten). Ab Oktober steigt der Mindestlohn von 10,45 Euro auf 12 Euro pro Stunde.
„Meine Frau und ich können jetzt wieder in ein Restaurant oder ins Kino gehen“, erklärt Francesco Cecinati den Unterschied zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart, als Brigitte Grinda bei den Physiotherapeuten im ehemaligen Aloysianum betreut wurde. Jetzt stehen zusätzlich 900 Euro monatlich zur Verfügung. Eine spürbare Verbesserung, nicht mehr viel Monat vom Geld übrig. „Für mich und für uns bedeutet das, zurück in ein normales Leben zu kommen“, sagt der 42-Jährige. “Und mehr Respekt vor mir selbst.”
Cecinati hilft beim Ein- und Aussteigen, ein vorheriges Training lässt ihn schneller in den Tarifdschungel am Fahrkartenautomaten vordringen, wenn seine Kunden kein Dauerticket haben. Beim Einkaufen hilft er und sorgt schließlich dafür, dass die Tüten samt Inhalt sicher vor der Haustür seiner Kunden ankommen. Es verkürzt längere Wartezeiten, indem es „das nächste Drehkreuz aufsucht und anderen Passagieren hilft“, wie Gafög-Teamleiter Ekard Opretzka erklärt.
All dies ist sehr zeitintensiv, so dass Cecinatis Arbeitstag mit zwei Begleitern ausgefüllt ist, eine zentrale Koordinatorin sich um die Terminplanung kümmert und bei Stammkunden wie Brigitte Grinda, Begleiter und nun Betreute sich auch direkt miteinander abstimmen.
Einsatzgebiete für Langzeitarbeitslose: Parkplatz, Sportplatz, Begleitservice und OGS, KOD
Wie der 42-jährige Schachfan „arbeiten derzeit rund 170 Menschen allein oder mit städtischen Projektpartnern in der Stadt und leisten wertvolle Arbeit für die Stadtgesellschaft, die Respekt und Anerkennung verdient“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze Abteilung in Gelsenkirchen. So trägt beispielsweise der Parkservice mit seinen 60 Mitarbeitern zur Pflege von Grünflächen und zum Bau von Wegen bei. Der Sportplatzservice sorgt mit zwölf Sportplatzbetreuern für mehr Ordnung und Sauberkeit. Und die 60 Mitarbeiter des Kreisdienstes unterstützen den kommunalen Sicherheitsdienst in Sachen Sicherheit. „Darüber hinaus gibt es Mitarbeiter der Freiwilligenagentur, des OGS-Dienstes, der hilft, die Fachkräfte von Ganztagsschulen mit Tagesbetreuung zu entlasten, oder des Fahrgastbegleitdienstes“, nennt der Abteilungsleiter einige Beispiele für Einsatzgebiete .
Brigitte Grinda findet das „ziemlich gut“, räumt aber auch ein, dass sie sich an den zunächst ungeschickten Begleiter gewöhnen musste. “Ich bin behindert. Ich habe ein bisschen Angst davor. Aber ohne diese Hilfe wäre es für mich schwierig, zum Arzt zu gehen, einzukaufen oder Reha-Behandlungen zu bekommen”, sagt der 62-Jährige. Auch ihr Mann ist gesundheitlich angeschlagen, das Budget für den Lebensunterhalt ist gering, und Taxifahrten sind einfach zu teuer.
Sozialer Arbeitsmarkt Gelsenkirchen: 33 % schaffen den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt
Die Förderung dieser Beschäftigung auf dem sozialen Arbeitsmarkt dauert fünf Jahre. Die Teilnehmer werden intensiv geschult und betreut. Mit dem Ziel, einen festen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Also vielleicht zurück an die Drehbank für Francesco Cecinati?
„Nein“, sagt der 42-Jährige und lächelt, als Brigitte Grinda nach der Rückfahrt mit dem Bus sicher mit ihm nach Bulmke-Hüllen zurückkehrt. Er ist seit langem aus der Werkspraxis raus und kann dies aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tun. „Aber ich könnte mir vorstellen, etwas im Seniorenbereich zu machen, zum Beispiel in der Altenpflege.“ Gelsenkirchens Sozialdezernent ist zuversichtlich. Immerhin „33 Prozent der zuvor im sozialen Arbeitsmarkt Beschäftigten haben den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft“, sagt Andrea Henze.
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