Bergholz-Rehbrücke. Es gibt Geschichten, die klingen, als hätte sie sich ein Drehbuchautor ausgedacht. Und doch sind sie wahr. Die Geschichte von Martin Siegert aus Bergholz-Rehbrücke zum Beispiel, der wahrscheinlich der einzige Ticketverkäufer im Land ist, den die Leute mögen und vermissen, wenn er nicht mehr da ist und plötzlich andere den Ticketing-Bereich überwachen.
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Die alte Schule unterrichtet wieder
Martin Siegert ist mittlerweile anderswo zu finden: Er ist Deutschlehrer für ukrainische Flüchtlinge im Mehrgenerationenheim. Dieses 128 Jahre alte Gebäude wiederum war einst eine Schule. Ältere Leute nennen das Mehrgenerationenhaus in Nuthetal immer noch die alte Schule von Bergholz. Die abgenutzte Holzleiter ist ein Beweis dafür, dass viele Generationen von Kindern vor dem ABC-Lernen im Klassenzimmer auf und ab gerannt sind.
Stifte, Notizbücher, Kaffee und Kekse
Jetzt wird dort wieder das ABC gelernt. Die Studenten von heute sind ziemlich verwirrt und die Atmosphäre ist nicht mehr so starr wie früher. „Sie sind zwischen drei und 60 Jahre alt“, sagt Martin Siegert, einer der ehrenamtlichen Lehrer, der jetzt einmal wöchentlich montags in der alten Schule unterrichtet. Für den Unterricht im Mehrgenerationenhaus ist alles bestens vorbereitet: Stifte, Hefte, Kaffee, Zitronenwasser und Kekse.
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Klassenzimmer mit Spielplatz
Und dieses Klassenzimmer hat eine Ecke zum Spielen. Die Deutschlehrerin gibt zu, dass jüngere Kinder im Unterricht lieber mit Legosteinen spielen. „Manche sind noch so jung, dass ihre Mütter im Unterricht Windeln wechseln müssen“, sagt er.
Mit Kamera im Supermarkt
Siegert hat eine eigene Methodik entwickelt und auch eigene Schulmaterialien kreiert. „Als ich anfing, nahm ich meine Kamera mit in den Supermarkt und fotografierte dort Produkte“, sagt er. Siegert bearbeitet die Fotos, um Collagen an die Wand bringen zu können. Auf den Bildern mit den fotografierten Äpfeln steht: „A wie Apfel.“ Es gibt unter anderem auch Bilder mit Nudeln, Erdbeeren und Joghurts. Bei Siegerts Fotokursen „waren sogar die Kinder aufmerksam“, sagt er. Als er das Bild mit Schokolade und dem deutschen Wort dafür zeigt, schreien ukrainische Kinder sofort: „Milka!“ Keine Frage: So lernt man Deutsch.
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Deutschunterricht bei Martin Siegert im Mehrgenerationenhaus Nuthetal.
© Quelle: Privat
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Unterricht nicht stur nach Lehrplan
„Ich versuche, den Unterricht aufzulockern und nicht stur am Lehrplan festzuhalten“, sagt Siegert. Als eine seiner Schülerinnen fragt, ob sie einen Kaffee haben kann, erklärt er sofort allen in der Gruppe die deutschen Worte: „Das ist eine Kaffeemaschine, das ist eine Tasse Kaffee, hier ist ein Löffel.“ die Frage: “Kaffee mit Milch, mit Moloko?”
Es wird Ukrainisch, Russisch, Deutsch und Englisch gesprochen
er könne Russisch „Konechno“, sagt Siegert. Auf Deutsch bedeutet das: “Natürlich!” In ihrem Unterricht werden verschiedene Sprachen verwendet, damit am Ende jeder etwas versteht: Ukrainisch, Russisch, Deutsch und Englisch. Es geht um die ersten Schritte in der neuen Sprache und Sätze wie diese: How are you? Guten Morgen! Oder zum Einkaufen: „Ich hätte gerne Brot.“
Plötzlich sitzt ein Dolmetscher am Tisch
Zunächst erhielt er unerwartete Hilfe für seinen Unterricht. Etwas früher trifft Martin Siegert im Generationenhaus ein, um sich auf seine erste Klasse vorzubereiten. Eine Frau sitzt am Tisch und lächelt ihn an. “Ich habe mir gesagt: Du kannst sie nicht einfach so zurücklassen.” Er versucht, ins Gespräch zu kommen, fragt auf Russisch nach ihrer Herkunft und nach ihrer Arbeit. “Dann lehnt sie sich zurück und sagt auf Englisch: ‘Ich komme aus Kiew und habe Hoteldolmetschen studiert’.”
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Der neue Lehrer, der die Leute lieber mit Vornamen anspricht, hat einen Dolmetscher an seiner Seite, mit dem er sofort einen Deal macht: „Super, ich spreche Englisch mit Ihnen, Sie übersetzen die Aufgabe ins Ukrainische und die Schüler antworte mir auf deutsch.”
Treffen im Tagungscafé
Und wie alles begann, fragt der Reporter. “Angefangen hat alles mit Putins Krieg gegen die Ukraine”, sagt Siegert und erzählt knapp, wie er Lehrer der alten Schule wurde, als hätte er einen Schüler vor sich. Menschen flohen vor dem Krieg und einige kamen nach Nuthetal. Dort organisierte Nuthetaler im Mehrgenerationenhaus ein Begegnungscafé für Geflüchtete aus der Ukraine und fragte, was gebraucht werde. Sprachkurse zum Beispiel. Und so kam es, dass der Beamte jetzt ein Lehrer ist, der ukrainischen Frauen und ihren Kindern das Alphabet, Zahlen und erste Sätze beibringt.
Zwei Schützlinge gehen jetzt zur Schule
Zwei seiner jüngsten Schützlinge gehen jetzt auf die richtige Schule. Heute ist Unterrichtsbeginn für Kristina (6) und Kostianyn (6), am Montag haben sie ihren ersten Schultag. „Ich denke, sie sind gut vorbereitet“, sagt Martin Siegert. Das Mehrgenerationenhaus finanzierte den beiden Kindern die schulische Grundausstattung durch Spenden. Martin Siegert hat noch die Mütter der beiden Studienanfänger in seinem Studiengang. „Ich werde sie ab und zu fragen, wie es Kristina und Kostiantyn in der Schule geht.“
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Gegenüber dem Eingang der ehemaligen Bergholzschule, eröffnet 1894 und heute Mehrgenerationenhaus Nuthetal. Jetzt unterrichten sie dort wieder.
© Quelle: Privat
Nach einem Sturz muss er wieder laufen lernen
Und was wird aus Ihrer Tätigkeit für das Ordnungsamt? Es gibt noch einen weiteren Grund, warum er den Parkplatz seit einem Jahr nicht überwacht hat. Es passierte an einer Kreuzung. Die Ampel schaltet auf Rot, Siegert hält das Rad an und die Ampel wechselt auf Grün: „Ich wollte starten, aber ich hatte nicht den Mut“. In Oranienburg stürzt er vor seiner Pensionierung und ist mit einem Oberschenkelhalsbruch gelähmt. Laufen muss er neu lernen: „Zuerst ging ich mit zwei Krücken, dann ließ ich eine fallen und dann reichte der Stock“, sagt er. Rehbrücker kommentierte: „Es geht voran, wann kommst du zurück?“ Ob Martin Siegert als Ticketverteiler zurückkehren wird, ist ungewiss. „Ich habe jetzt einen besseren Job“, sagt er.