Sex und Scham: Wenn Flüchtlingsfrauen über „Tabuthemen“ diskutieren

Gelsenkirchen.
„Café ohne Grenzen“ hilft geflüchteten Frauen, sich in Gelsenkirchen zurechtzufinden. Es geht um Sexualität – oder um den Rundfunkbeitrag.

Was bedeutet Sexualität? Wie kann ich mit meinem Kind darüber sprechen? Und welchen Herausforderungen kann ich mich in einem fremden Land stellen? Im Kettelerhaus „Café ohne Grenzen“ sprechen geflüchtete Mütter und Schwangere über Themen, die für sie tabu sind – aber auch über alltägliche Dinge in Deutschland, die Frauen in ihrer Heimat nicht kennen.

Das „Café ohne Grenzen“ in Gelsenkirchen ist ein geschützter Ort zum Plaudern

Wie zum Beispiel das öffentlich-rechtliche Mediensystem. “Hast du schon mal was von Rundfunkgebühren gehört?”, fragt Beatrix Steinrötter, eine der drei Organisatorinnen des Frauencafés. Einige der Frauen nicken vorsichtig, andere verstehen den Begriff nicht. Bei Kaffee und Sandwiches werden Erfahrungen ausgetauscht. Die Stimmung ist ausgelassen, denn hier sind die Frauen mit ihren Kindern nur unter sich.

“Warum muss ich das bezahlen?” ich fragte. Oder: “Brauche ich das auch, wenn ich keinen Fernseher habe?”. Sozialarbeiterinnen für katholische Frauen und Männer beantworten Fragen von Frauen aus Syrien, dem Irak und nordafrikanischen Ländern.




Junge ausländische Mütter sind mit dem medizinischen Vorsorgesystem nicht vertraut

„Die Themen, über die wir mit den Müttern sprechen, sind sehr vielfältig und orientieren sich an den Bedürfnissen der Teilnehmerinnen“, sagt Kirsten Kremer, Leiterin des Frauencafés. Ein Teil der Inhalte behandelt Alltagsthemen, die jungen Müttern in Gelsenkirchen das Leben erleichtern sollen. Viele kennen zum Beispiel das ärztliche Vorsorgesystem in Deutschland nicht.


Andere Gesprächsthemen seien spezifischer, sagt Kremer. Manchmal braucht es eine gehörige Portion Feingefühl. “Das sind Themen, die in der Frauenwelt nicht vorkommen.”

Solche Themen sind zum Beispiel die Sexualität selbst oder die sexuelle Aufklärung von Kindern. Über diese „Tabuthemen“ zu sprechen, sei sehr schwierig, wie Kremer betont. Die Ursachen dafür sind sehr unterschiedlich – seien es Scham, Hilflosigkeit oder Angst. Schweigen rührt oft von patriarchalischen Familienstrukturen oder der Rolle der Frau in manchen Kulturen her.

Frauencafé für Migrantinnen in Gelsenkirchen: Viele kümmern sich nicht um ihre Kinder

Jeder hat etwas, worüber er nicht gerne spricht. Den Besuchern des Frauencafés geht es nicht anders. Dass aber ausschließlich Frauen anwesend seien, ändere einiges, sagt Kremer. “Frauen wissen, dass sie hier offen über alles reden können.”

Das Café ist einzigartig, weil Mütter ihre Kinder mitnehmen können. „Viele Frauen können Beratungsangebote oft nicht nutzen, weil sie keine Betreuung für ihre Kinder haben“, sagt Safa Mansour, die seit 19 Jahren in Deutschland lebt und als Dolmetscherin im Café arbeitet. Viele geflüchtete Frauen würden daher viel Zeit zu Hause mit ihren Kindern verbringen und hätten kaum die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen oder Sprachkurse zu besuchen.

Während die Diskussion am Frühstückstisch stattfindet, sitzt Kirsten Kremer mit mehreren Kindern in einer kleinen Spielecke. Puppen, Bauklötze, Spielzeugautos, für jedes Kind ist etwas dabei. In der Mitte gibt es auch eine laute Wut. Manche Kinder sprechen nur Englisch oder Arabisch. Hier im Café werden sie spielerisch an die deutsche Sprache herangeführt.

Beim “Café ohne Grenzen” in Gelsenkirchen bleibt genug Zeit, um richtig Deutsch zu lernen

Das „Café ohne Grenzen“ wurde für viele Teilnehmer zu einem Rückzugsort. Zweimal im Monat treffen sich die Frauen im Kettelerhaus am Mühlenfeld 10, um sich Informationen zu holen, die den Alltag in Deutschland erleichtern.

Die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu hören und zu sprechen, hilft Frauen sehr, sagt Safa Mansour. Als Mitglied des Integrationsrates der Stadt Gelsenkirchen kennt sie die Schwierigkeiten, denen man in einem fremden Land begegnen kann. ,,In Sprachkursen lernt man Grammatik und es bleibt nicht genug Zeit, um tatsächlich Deutsch zu sprechen. Hier ist das anders“, sagt Mansour. In freundlicher Atmosphäre werden die Frauen im Café an Alltagsdeutsch herangeführt und können es direkt anwenden.

Die Teilnehmerinnen des Frauencafés vernetzen sich über eine WhatsApp-Gruppe

Auch Bouchra B., die seit vier Jahren in Deutschland lebt, weiß, wie schwierig es ist, eine neue Sprache zu lernen. „Für mich war es schwierig, Deutsch zu lernen, weil es wegen Corona wenig Kontakt gab“, sagt sie. Auch Café ohne Grenzen konnte in dieser Zeit nicht wie gewohnt stattfinden. Sprachvideos auf YouTube und Sprachlern-Apps haben Bouchra B. jedoch geholfen, weiter an ihren Deutschkenntnissen zu arbeiten. „Wir haben auch eine Whatsapp-Gruppe für Kaffee“, sagt sie. Dort stehen die Frauen in Kontakt und verabreden sich, um gemeinsam die Spielplätze zu besuchen.

Das Projekt „Café sem Fronteiras“, das 2016 aus der Beratungsstelle für Schwangere des Sozialdienstes für katholische Frauen und Männer (SKFM) hervorgegangen ist, hat bereits einige Erfolge vorzuweisen. „Wir freuen uns, einen Ort geschaffen zu haben, an den Frauen gerne zurückkommen und auch mal die Seele baumeln lassen können“, sagt Kirsten Kremer. Gemeinsame Aktivitäten wie Zoobesuche oder Aktivitäten wie Fahrradfahren lernen werden immer wieder angeboten. „Das stärkt den Zusammenhalt und hilft Frauen, ihre neue Heimat besser kennenzulernen.“


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