Soziales Jahr: Erfahrungsbericht eines Freiwilligen

CWenn Corona nicht passiert wäre und in der Schule alles nach Plan gelaufen wäre, wäre Benedikt Köhler jetzt nicht hier. Also hätte er wahrscheinlich dieses Jahr sein Abitur gemacht und ein Studium begonnen. Doch die Pandemie kam dazwischen. Sie stellte sein Leben auf den Kopf – und nahm ihn aus der Bahn: „Corona ist das Beste und Schlimmste, was mir je passiert ist.“

Der junge Mann aus Oberursel – gelbes Stoffarmband, Schnurrbart, zarte Augen – war bei Schulschluss in der elften Klasse. Der Unterricht fiel für ein halbes Jahr aus. Er konnte damit nicht umgehen. „Ich habe keine einzige E-Mail von einem Lehrer erhalten. Es gab kein einziges Online-Meeting.“ Tage vergingen und Köhler hatte viel Zeit zum Nachdenken, sagt er. Als die Schule endlich wieder öffnete, war es für ihn zu spät. Köhler, ehemals normaler Student, lenkte ein. „Ich war psychisch instabil und extrem verwirrt. Ich rannte und die Noten sanken.“

Glücklicherweise empfahl ihm sein Tutor, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Denn die Leistung wird als praktischer Teil zum Erwerb der allgemeinen Eignung für die Aufnahmeprüfung anerkannt. Köhler brach nach der 12. Klasse ab und bewarb sich beim Deutschen Roten Kreuz um eine Stelle im Rettungsdienst. Sein Plan war damals eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Aber Arbeit war nicht sein Ding, also wechselte er zum Hausnotruf. Es begann eine Zeit, die er bereits kennt und die heute sein Leben verändert hat.

Einsamkeit ruft

Er ist seit fast einem Jahr auf Abruf. Drückt jemand im Hochtaunuskreis auf den Knopf seines Hausnotrufgerätes, wird er mit der Einsatzzentrale verbunden. Handelt es sich um einen echten Notfall, schickt die Leitstelle einen Krankenwagen. Wenn es weniger schlimm ist, zum Beispiel weil jemand gestürzt ist und Hilfe beim Aufstehen braucht, kommen Köhler oder einer seiner Kollegen. Manchmal ruft jemand aus Einsamkeit mitten in der Nacht den Hausnotruf an, und Köhler weiß schon: „Da braucht mich jemand zum Reden.“

Es gibt verschiedene Schichten. Manche dauern 12 Stunden, andere 24 Stunden. „Es gibt Tage, an denen das Telefon nicht klingelt. Aber es gibt auch Tage, an denen man nachts durchfährt.“ Wenn er im Einsatz ist, steht der weiße Einsatzwagen, ein Ford-Kombi, vor seiner Tür in Oberursel, er muss erreichbar sein, kann sich aber auch auf einen Kaffee verabreden, Hauptsache er ist da in kürzester Zeit, mehr als einer Stunde dort, wo Ihre Hilfe gebraucht wird, aber meistens geht es viel schneller: „Wir sind in der Regel in zehn bis zwanzig Minuten da.“

Dein Jahr in der Notrufzentrale geht bald zu Ende. Köhler hat viel experimentiert und viel gelernt. Es sind vor allem ältere Menschen, Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder Menschen mit Vorerkrankungen, die einen Notrufsender am Körper tragen. „Es gibt viele Menschen, die sehr einsam sind. Das macht mich traurig“, sagt er. Gerade ältere Menschen wissen oft nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen.

„Vergütung ist ein Dauerthema“

Für seine ehrenamtliche Tätigkeit erhält er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 330 Euro. Er findet, das reicht nicht für diesen Job. „FSJ ist eine tolle Sache. Du lernst etwas fürs Leben. Aber man muss zahlen können. Das darf nicht am Geld scheitern.“

Unter den Betreibern wird seit langem darüber diskutiert, wie man Dienste attraktiver machen kann. Freiwillige klagen weiterhin über geringe finanzielle Entschädigungen. Das gelte besonders in Großstädten, sagt Annelie Ohl vom Landesverband Kulturelle Bildung, der Freiwilligendienste in Kultureinrichtungen organisiert, weil dort die Lebenshaltungskosten besonders hoch seien. “Vergütung ist ein Dauerthema.”

Die größte Freiwilligenagentur in Hessen ist das Unternehmen DRK-Volunta. Ihre Sprecherin Christine Orth weist darauf hin, dass das Ehrenamt nicht in Konkurrenz zum Niedriglohnsektor treten dürfe. Sie plädiert dafür, die Rahmenbedingungen durch eine gezielte Förderung zu verbessern, vergleichbar mit Studienkrediten für Studierende mit finanziellem Unterstützungsbedarf.

Die mehr als 30 Träger haben sich im Landesarbeitskreis Freiwilligendienste Hessen zusammengeschlossen. „Wir denken aktiv darüber nach, die Bezahlung zu verbessern“, sagt sein Sprecher Nathanael Seitz. Aber er glaubt auch, dass Dienstleistungen außerhalb einer Akquisitionslogik stehen sollten. Allerdings gelte für ihn: „So eine Leistung sollte jeder absolvieren können.“ Doch gerade Menschen mit wenig Geld schrecken durch niedrige Löhne ab.

Wer sich für ein Jahr ehrenamtlich einsetzt, bricht seltener die Ausbildung ab

Anbieter sind nicht nur vom großen gesellschaftlichen Nutzen der Dienstleistungen überzeugt, sondern sehen darin auch einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Die meisten Freiwilligen seien weiblich, berichtet Orth. „Für junge Männer wäre es besonders wertvoll.“ Es ist statistisch belegt, dass Absolventen eines Freiwilligendienstes seltener die Ausbildung abbrechen. Im Freiwilligendienst lernt man Verantwortung zu übernehmen. „Dieses Jahr bringt viel. Dies ist ein Jahr der Geschenke.“ Seitz sagt, dass die Dienste nicht nur viel Karriereberatung bieten. „Man kann experimentieren. Und man kommt mit Menschen und Umgebungen in Kontakt, mit denen man vorher wenig zu tun hatte.“

So wie Benedikt Köhler. Wenn er am Ende des Monats seinen Dienst beendet, macht er sein Fachhochschulreife. Er will bei den Johannitern in Berlin Soziale Arbeit studieren und mit jungen Menschen arbeiten, die Unterstützung brauchen. „Es gibt Menschen, die können so viel aus sich machen. Aber man muss sie unterstützen. Ich bin gut darin, ich will es zu meinem Beruf machen.“ Köhler hofft, dass noch mehr Menschen die Gelegenheit nutzen und sich ehrenamtlich engagieren. „Es wäre unglaublich gut für viele junge Menschen, etwas Soziales zu tun. Sie kennen also das wirkliche Leben.“

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