Rostock. Für Gerhard Koch ist der kleine Kiosk im Toitenwinkel ein untrennbarer Bestandteil seines Lebens. „Ich habe hier schon als Kind Gummibärchen gekauft“, sagt er. Heute sind es eher Kaffee, Kuchen, Bockwurst oder Bier, die er in entspannter Atmosphäre mit vielen Bekannten direkt in der Martin-Luther-King-Allee genießt. Koch kann nicht glauben, dass der seit fast 30 Jahren bestehende Traditionsstand abgerissen werden muss. Doch das Schreiben des Bürgermeisters ist im Kioskfenster als Mahnung zu lesen: Am 30. September ist Bauschluss, bis dahin muss das Gebäude weichen.
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Inhaberin Dana Schunowski ist der Verzweiflung nahe und fürchtet um ihre Existenz. Im Juni 2021 übernahm sie den Kiosk und zahlte dem Vorbesitzer dafür einen fünfstelligen Betrag. Was sie damals nicht ahnte: Der Kiosk wurde vom Rathaus nur geduldet, auf dessen Grundstück er als Übergangslösung verbleibt. „Bei Vertragsende muss der Kiosk vom Vertragspartner entschädigungslos abgerissen werden“, zitierte Stadtsprecher Ulrich Kunze den entsprechenden Vertrag.
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Gerhard Koch (links) und Heiko Mielke kommen seit Jahren an den Kiosk. Für sie ist es der ultimative soziale Treffpunkt im Toitenwinkel.
© Quelle: Ove Arscholl
Rostocker Mieter: „Das war definitiv zu naiv“
Aber Dana Schunowski kannte ihn nicht. „Die Vorbesitzerin hat mir erklärt, dass sie den Vertrag nach so vielen Jahrzehnten nicht mehr hat. Deshalb habe ich ihr immer die Kioskmiete gezahlt“, erklärt die 40-Jährige und fügt hinzu: „Ja, das war auf jeden Fall sehr naiv. Aber damals ging alles so schnell. Die Frau wollte den Kiosk unbedingt loswerden und ich wollte hier ein neues Leben beginnen“, sagt Schunowski unter Tränen.
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Der Vorbesitzer, dessen Name OZ bekannt ist, konnte für Rückfragen nicht gefunden werden. Im März dieses Jahres kündigte sie jedoch offiziell den angeblich nicht bestehenden Mietvertrag des Kiosks und kündigte wissentlich den Untergang des Kiosks an. Und das, obwohl die Geschäfte sehr gut laufen. „Ich bin sehr gut bei der Bevölkerung im Viertel angekommen und habe auch in die Attraktivität des Kiosks investiert“, sagt Dana Schunowski. Ein frischer Anstrich, Beleuchtung, ein Heizpilz für den Winter – sie wollte alles dafür tun, dass der Stand von den Nachbarn angenommen wird.
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Anette Oestreich kommt fast täglich am Kiosk vorbei und freut sich auch über ihre neue Besitzerin.
© Quelle: Ove Arscholl
Toitenwinkler hat Schunowski direkt ins Herz geschlossen
Kunden haben die alleinerziehende zweifache Mutter sofort ins Herz geschlossen. „Als sie im November 40 wurde, haben wir 150 Luftballons aufgeblasen und im Kiosk versteckt, zusammen mit Blumen, einem Kuchen und einem Ständchen“, erzählt Anette Oestreich, die in der Nachbarschaft wohnt und jeden Tag vorbeikommt. „Hier sind alle Generationen willkommen, Kinder bekommen ein Eis oder etwas zu trinken, für die Größeren gibt es sonntags Kaffee und Kuchen“, sagt Oestreich. „Und natürlich Bier und einen Keks“, ergänzt Heiko Mielke.
Für die Toitenwinkler ist der Kiosk viel mehr als nur eine Versorgungseinrichtung – er ist ihr sozialer Treffpunkt; einen Ankerplatz, um mit Bekannten über Sorgen und Nöte zu sprechen. Viele der Menschen suchen Arbeit, manche sind einsam. „Wenn man hierher kommt, findet man immer jemanden zum Reden, und das ganz ohne Stress und Streit“, sagt Mielke und nickt den Anwesenden zustimmend zu.
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es geht um die Menschen
Alle haben bereits die Liste unterschrieben, die Dana Schunowski zur Rettung des Kiosks erstellt hat. Sie hofft, das Schicksal ihres kleinen Buches ändern zu können. “Es geht nicht hauptsächlich um mich, sondern um die Leute hier. Wohin sollen sie gehen, wenn das hier vorbei ist?”, fragt sie. Dana Schunowski hat immer ein offenes Ohr für Bier oder Zigaretten. Und das zieht viele Leute an. Silvester war gemeinsam im Büdchen gefeiert. “Sonntags bringen wir Brötchen, weil es hier nichts anderes gibt. Maximal an der Tankstelle, aber das ist vielen nicht nur zu weit weg, sondern auch sehr teuer”, sagt der Kioskbesitzer.
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Dana Schunowski will ihren Kiosk an der Martin-Luther-King-Allee in Rostock behalten. Dafür sammelt sie bereits Unterschriften.
© Quelle: Ove Arscholl
Neben dem Sammeln von Unterschriften prüft Dana Schunowski, ob ihr rechtliche Unterstützung etwas bringen kann. Für sie und ihre Kinder sei der Stand „ein Teil unserer Familie“, sagt die 40-Jährige. Deshalb will sie weiter für ihren Erhalt kämpfen. „Ich möchte den Menschen hier ein Vorbild sein, das man nicht aufgibt“, erklärt sie.
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Rathaus: Bäume statt Kioske
Klar ist die Situation beim Rathaus: Der Abriss des Kiosks steht fest. Der bereits von Dana Schunowski gestellte Antrag auf Neuvermietung wurde abgelehnt. „Die dauerhafte Errichtung eines Verkaufs- und Imbisskiosks ist zum jetzigen Zeitpunkt bauordnungsrechtlich nicht zulässig“, sagt Ulrich Kunze. Die jahrzehntelange Duldung war eine vertraglich geregelte Ausnahme. Zudem liege der Standort des Standes auf einem Grünstreifen, „in dem Bäume gepflanzt werden sollen“.
Bei diesen Aussichten winken ihnen die Stammkunden des Kiosks nur müde zu. „Hier gibt es schon genug Bäume“, sagt Gerhard Koch. „Was wir wollen und brauchen, ist unser kleiner Stand“, sagt Toitenwinkler.