Die Fotografie wurde 1829 vom Franzosen Joseph Nicéphore Niépce erfunden. Keine 20 Jahre später triumphierte das Medium in Europa bereits, mit der Fotografie professionalisierte sich die Dokumentation – und in den 1870er Jahren eröffnete das erste Fotoatelier in Starnberg, damals ein beschauliches Fischerdorf am Nordufer des Sees.
Josef Wörsching (1851-1931), dessen Vater nach einer Lehre als Maler, Stuckateur und Vergolder einen Malerbetrieb führte und dann nach Wien und Paris reiste, gründete 1877 sein eigenes Unternehmen: das Fotoatelier Wörsching. Die nächsten beiden Generationen, Sohn Richard (1887-1937) und Enkel Richard (*1932), führten das Fotoatelier weiter und waren bekannt für Porträt- und Passfotos, Event-, Abenteuer- und Dokumentarfotografie sowie Postkarten.
Zunächst als professionelle Auftragsprodukte entstanden, war das Dokumentationselement nur unterschwellig und latent präsent. Die Kontinuität über einen sehr langen Zeitraum hat schließlich das öffentliche Interesse geweckt. Keine zufällig auf dem Dachboden gefundenen und nach all den Jahren wiederentdeckten Kisten, sondern mehr als 30 Kisten voller Material, die gerade bearbeitet und digitalisiert werden.
2010 erwarb das Stadtarchiv Starnberg einen Teil – knapp 7.000 Fotografien – des ehemaligen Gutes Wörsching. Zehn Jahre später war dies der erste historische Kalender und stand am „Tag des Archivs“ im Mittelpunkt einer ersten großen Bestandsaufnahme. Viele der Fotografien sind Vintage-Prints und vielen fehlen Informationen über die Person, das Entstehungsjahr oder das Ereignis.
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Diesen Umstand macht sich nun das Starnberger See Museum zunutze und lässt die Besucher teilhaben. Unter dem Titel „Ich habe eine Person wiedererkannt – Ich habe eine Erinnerung gefunden – Ich hatte ein besonderes Gefühl“ können Besucher bunte Haftnotizen anbringen, über oder unter ein Foto kleben und ihre Hinweise notieren. Darin sind Namen, Ereignisse, Daten, manchmal Korrekturen und Ergänzungen. So kommen historische, soziale und lokale Zusammenhänge zusammen. Die Fotografie wird zum Geschichtenerzähler, zum schwarz-weiß illustrierten Dokument der Vergangenheit – und trotz des Rahmens zum persönlichen Fotoalbum einer Stadt und einer Region – im analogen Postkartenformat.
Als Besucher nähert man sich den Fotografien auf mehreren Wegen: um Bilder des Wandels zu finden, durch historische Gewölbe zu gehen und wegen des kleinen Formats auch körperlich Details erkennen zu können. Die Neugier aufeinander, das vergangene Leben überwiegt, wie es damals war, welche Gebäude es gab und welche nicht, wer zu Besuch kam, wie man feierte und was man trug.
In Zeiten unserer Bilderflut, des Selfie- und Belichtungswahns und der Tendenz, das Erlebte erst nach einer Reise durch Smartphones auf digitale Fotos zu betrachten, die dann schnell in einer Wolke verschwinden und sich zu gigantischen Gigabyte-Summen summieren, eine museale Retrospektive dieser Art gibt es jetzt etwas ganz besonderes.
Ob die Wände, an denen die Artefakte ausgestellt sind, rosa gestrichen werden sollen, ist fraglich, denn die Farbe, die für Poesiealben geeignet erscheint, entspricht nicht grundsätzlich inhaltlichen und zeitlichen Empfindungen – sie ist also rundherum in einen wunderschönen Rosamunde-Pilcher gekleidet der ort. -runde -glückliche-färbung.
Beeindruckend ist, dass diese Art der Dokumentarfotografie auch das Banale, Alltägliche liebt, das Natürliche festhält, zwischen Anonymität und Zugehörigkeit, zwischen Mustern und Eigenheiten hin- und herpendelt und Eigenschaften definiert.
Es ist wenig politischer Wandel zu erkennen, dafür aber Prozesse des stadträumlichen Wandels und des privaten und persönlichen Daseins.
Die Ausstellung spricht gleichzeitig von Ankunft und Transit, Erfahrung und Besuch, Dauer und Vergänglichkeit.
Ein fotografisches Gedächtnis. Fotos aus dem Nachlass der Fotografenfamilie Starnberg Wörsching
Zu sehen bis 29. September 2022 unter Museum Starnberger SeePossenhofener Straße 5, 82319 Starnberg
Geöffnet: Di-So. 10 bis 17 Uhr (und Feiertage)
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