Wilhelm von Preußen und Joseph Goebbels beim Kaffeetrinken

Am 20. April dieses Jahres veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen Artikel über ein historisches Zeitungsfoto aus dem Sommer 1933. Das Foto zeigt den ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen zusammen mit dem neu ernannten Minister für Volksbeleuchtung und Propaganda Joseph Goebbels ein Café-Tisch im Ostseebad Heiligendamm. Es stammt von der Titelseite der Ausgabe vom 20. August 1933 der sozialdemokratischen Zeitung „Deutsche Freiheit“, die als Agitationsblatt gegen den Nationalsozialismus 1933 im Auftrag des Völkerbundes im Saarland gegründet wurde , und sie erschien dort bis zu ihrem Anschluss an das Deutsche Reich Anfang 1935. Mit der Ausrichtung der Presse auf das Deutsche Reich präsentierte die „einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands“, so ihre Überschrift, den Lesern des Saarlandes eine Foto des ehemaligen Kronprinzen und des Propagandaministers, die unter der Überschrift „Gute Leute unter sich“ Geschlossenheit demonstrieren.

Wilhelms Foto mit Goebbels leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Verantwortung der Hohenzollern bei der Umsetzung des Nationalsozialismus

Im FAZ-Artikel stellt Autor Andreas Kilb das Foto ausführlich in den historischen Kontext seiner Veröffentlichungsbedingungen. Laut Begleittext in der „Deutschen Freiheit“ war es gerade von einer Fotoagentur an die gesamte deutsche Presse geschickt worden, nur um am nächsten Tag vom Propagandaministerium mit einem Veröffentlichungsverbot belegt zu werden. Diesen Propagandafehler nutzte die Deutsche Freiheit, um auf die Widersprüchlichkeit der aggressiven, sozialrevolutionären Propaganda der NSDAP und ihrer Solidarität mit exponierten Vertretern der monarchischen Elite des Deutschen Reiches wie dem ehemaligen Kronprinzen hinzuweisen. Anhand verschiedener Beispiele beschreibt Kilb die engagierte Unterstützung Wilhelms als „Werbetrommler für Hitler“ und kommt angesichts des anschließenden Veröffentlichungsverbots zu dem Schluss, dass „deutsche Freiheit“ richtig sei: „Die Annahme ‚Ein Deutscher Freiheit’, deren Veröffentlichung Goebbels aus Scham gegenüber seinen verarmten Parteigenossen vermied, ist wohl nicht weit von der Wahrheit entfernt. Wichtiges Dokument, das eine dokumentierte politische Affinität zwischen Wilhelm und der NS-Führung um Hitler aufweist, die “‘Deutsche Freiheit ‘ hat den Plan vereitelt”, sagt er und führt das Foto damit auf die zahlreichen Argumente zurück, die für einen “erheblichen Vorstoß” des Nationalsozialismus durch die Hohenzollern sprechen.

Je einfacher es ist, eine historische Quelle zu finden und zu verwenden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie berücksichtigt, konsultiert und verwendet wird. Archive und Bibliotheken tragen eine große Verantwortung, wenn es um die Zugänglichkeit ihrer Bestände geht.

Wer der Frage nachgehen möchte, wie das Foto 2022 wiederentdeckt wurde, wird zunächst im Zeitungsartikel fündig. Laut Kilb handelt es sich um einen “Archivfund des Historikers Jürgen Luh”. In seinem Aufsatz über einen Aufsatz von Wilhelm vom November 1933 findet sich tatsächlich eine Reproduktion des Fotos mit Verweis auf die entsprechende Ausgabe der „Deutschen Freiheit“.

Aus Sicht einer bibliothekarischen und archivalischen Gedächtnisinstitution wie AdsD ist es ein Erfolg, dass das Foto gefunden und verwendet wurde. Im Jahr zuvor hatten wir uns entschieden, die „Deutsche Freiheit“ aufgrund ihrer historischen Bedeutung im Rahmen eines von der Initiative „Neustart Kultur“ geförderten Projekts zu digitalisieren und mit einer Volltextsuche online verfügbar zu machen. Ab Mitte 2021 war das Foto daher auf unserem Portal „Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie online“ verfügbar (und mit dem Suchbegriff „Kronprinz Wilhelm“ leicht zu finden). Seit Ende 2021 ist sie auch im Deutschen Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek zu finden. Aus unserer Sicht ist es wahrscheinlich, dass diese einfach zu bedienenden, öffentlich zugänglichen Rechercheportale die Wiederentdeckung des Fotos unterstützt haben. Dass ein bisher unbeachtetes historisches Dokument so prominente Aufmerksamkeit erfährt und damit zu einer historisch bedeutsamen Debatte beiträgt, ist für uns ein ermutigendes Zeichen dafür, dass unsere umfangreiche Arbeit im Bereich der Digitalisierung Früchte trägt. Je einfacher es ist, eine historische Quelle zu finden und zu verwenden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie berücksichtigt, konsultiert und verwendet wird. Archive und Bibliotheken tragen eine große Verantwortung, wenn es um die Zugänglichkeit ihrer Bestände geht. Gerade im Bereich der historischen Zeitungen wurde diese Verantwortung in den letzten Jahren mit dem Deutschen Zeitungsportal, aber auch mit regional oder thematisch spezialisierten Portalen wie dem „Historischen Verlag der deutschen Sozialdemokratie Online“ intensiv und mit großem Engagement wahrgenommen.

Web-Links:

Andreas Kilb: „Ein Foto von Heiligendamm“, FAZ 20.04.2022 (hinter der Paywall)

Jürgen Luh: “Ich sage ja! 12.11.1933, Führerstaat und Kronprinz Wilhelm”

Titelseite der „Deutschen Freiheit“ vom 20. August 1933 in „Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie online“

Titelseite der „Deutschen Freiheit“ vom 20. August 1933 auf dem Portal der Deutschen Zeitung der DDB

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